Heft 
(1991) 51
Seite
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Vielmehr läßt sich zeigen, wie die Figuren gerade in ihrem Verhältnis zu Hilde sich verändern. Ihre Beziehung zu Hilde ist so sehr Gegenstand der Novelle, daß sie ihr Leben aus gerade dieser Beziehung erst gewinnen. Für sich genom­men sind sie alle nichts. Hilde ist für Fontane die Hauptgestalt des Romans:

Hauptfigur: ein angenommenes Kind, schön, liebenswürdig, poetisch­apathisch, an dem ich beflissen gewesen bin, die dämonisch-unwidersteh­liche Macht des Illegitimen und Languissanten zu zeigen. Sie thut nichts, am wenigsten etwas Böses, und doch verwirrt sie regelrechte Verhältnisse. Sie selbst, ohne den Grundton ihres Wesens zu ändern, verklärt sich und überlebt das Wirrsal, das sie gestiftet." (Ha Br III/66)

Fontane betritt damit zweifellos Neuland. Er war auf der Suche nach seinem Platz in der Literatur. Als erVor dem Sturm" aus der Hand legte, war ihm bewußt, ein Buch geschrieben zu haben, das keine Fortsetzung vertrug. Die Wunden, die ihm in den 70er Jahren geschlagen worden waren, waren noch zu frisch, als daß er konservativ, patriotisch und fromm den von ihm selbst ange­legten Wegen hätte folgen können. MitAllerlei Glück" wollte er einen heiteren und zeitkritischen Roman schreiben, der das Leben im Berlin seiner Zeit behan­deln sollte. Die Verwirklichung dieses Planes hätte vermutlich einen durch­schlagenden Erfolg vonVor dem Sturm" und damit finanzielle Sicherheit für einige Jahre zur Voraussetzung gehabt. Wenn man bedenkt, daß sich Fontane mit denWanderungen durch die Mark Brandenburg" ein Publikum geschaffen hatte, von dessen Treue er eigentlich hätte überzeugt sein können, so waren seine Erwartungen nicht unrealistisch. Daß sie nicht erfüllt wurden, mag ebenso an der Unreife der konservativen Leser wie an den vorsichtigen Ansätzen einer Preußen- und Adelskritik im Roman gelegen haben. Der Mißerfolg ent­hüllte jedenfalls, daß kein Verleger geneigt sein würde, das Risiko der Finan­zierung eines neuen großen Romans zu übernehmen. Was, alles in allem, für Fontane doch wohl ein Glück war, denn so sicher dürfte er sich seiner Darstellungsmittel nicht gewesen sein, daß er sich hätte Zutrauen können, das zeitgenössische Berlin humoristisch und zugleich kritisch darzustellen. Es galt also, nach neuen Feldern Ausschau zu halten. Fontanes Blick mußte sich mit Notwendigkeit der Novelle zuwenden. Daß er keine Begabung für das Drama besaß, das hatten ihn die Jahre nach der 48er Revolution gelehrt. Für das Lied besaß er, wie er sich selbst früh eingestand, kein Talent, und daß sich auch für seine Balladen wenig Käufer fanden (trotz aller imTunnel" errungenen Erfolge), zeigte der 1861 bei Hertz herausgegebene Band, der erst anderthalb Jahrzehnte später eine neue erweiterte Auflage erfuhr, die sich wiederum schlecht verkaufte. Die beiden bedeutendsten literarischen Freunde Fontanes aber (wobei man das WortFreunde" getrost in Anführungszeichen setzen kann), nämlich Storm und Heyse, feierten auf dem Gebiete der Novelle Erfolge. Und je kritischer Fontane ihren Hervorbringungen gegenüberstand, um so mehr durfte er hoffen, hier für sich selbst eine Nische zu finden. Die ersten Novellen Fontanes zeigen, wie er nach vielen Seiten tastete.Grete Minde",L'Adultera, Ellernklipp",Schach von Wuthenow": jedes dieser Werke deutete in eine neue

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