Richtung. Erst dem heutigen Betrachter mag klar sein, daß mit „L'Adultera" der verheißungsvollste Schritt gelungen war. Verglichen damit weist „Ellernklipp" ins Abseits. Nirgends stärker als hier hat Fontane versucht, sich Storm zu nähern und doch auch ein eigenes Terrain zu erschließen. Die Nähe zu dem Husumer ist offensichtlich.
Mit aller Deutlichkeit hat das schon Conrad Wandrey in seinem Fontane-Buch (München 1919) gesehen, das ein großer Wurf war, so veraltet es heulte scheinen und so sehr es nur noch dazu dienen mag, den Widerspruch der Interpreten zu entzünden. Fontane ist seinerseits nicht ganz unbeteiligt daran gewesen, daß man seine Leistungen mit denen Storms verglichen hat, denn er hat seine Leser selbst auf diesen Aspekt hingewiesen. In einem Dankesbrief an Alfred Friedmann, der „Ellernklipp" besprochen hatte (in „Das Magazin für die Literatur des In- und Auslandes", Nr. 8, 18. Februar 1882), grenzt sich Fontane, um Markierungspunkte für die Bewertung seiner Novelle zu haben, folgendermaßen von Storm ab:
„Dies Balladeske herrscht auch in .Ellernklipp" vor; aber das Balladeske, das hintergründlich-verschwommen, ossianisch-nebelhaft sein kann, braucht es nicht zu sein und ist es nicht immer. Auf Storm (den ich übrigens sehr hoch stelle) würde, meiner Meinung nach, Ihre Charakteristik meiner Figuren passen; Storm deutet in .Eekenhof', .Renate', ,Aquis submersus' nur an, und will nur andeuten, mein Haidereiter aber erhebt die Prätension, ein so faßbarer Kerl zu sein, wie nur je einer über die Haide gegangen ist." (Ha Br III/181).
Es kann nicht verwundern, daß Fontane hier einen Hinweis unterläßt auf eine Storm-Novelle, die es an Faßbarkeit und Abrundung der Figuren durchaus aufnehmen kann mit seinen „frühen" Novellen-Schöpfungen, nämlich „Draußen im Heidedorf". Diese, bei aller wiederholt ausgesprochenen Wertschätzung, relativ unbeachtet gebliebene Novelle Storms ist eine Erzählung, in der nach Heyse »ein ganz neuer Storm" erscheint, (vgl. Georg Bollenbeck, Theodor Storm, Frankfurt, 1988, S. 303) Es läßt sich zwar nicht beweisen, daß Fontane bei der Konzeption von „Ellernklipp" diese Novelle Storms im Auge hatte, aber es berührt doch eigenartig, daß er die (neben Hilde) wichtigste Figur seiner Erzählung, Baltzer Bocholt, den Titel eines „Heidereiters" führen läßt und damit eine - freilich schwache - Brücke zu Storms Erzählung schlägt. Die Quelle Fontanes sagt nämlich nichts von einem „Heidereiter", dort ist nur der dem Vater zum Opfer fallende Sohn als „Jägerbursche' bezeichnet. Der „Heidereiter" würde sich also als Anklang an Storms Titel „Draußen im Heidedorf" einleuchtend erklären. Damit wäre ein sichtbarer Zusammenhang zwischen den beiden Werken hergestellt. Und dies wäre um so verständlicher, als die Erzählungen v om zentralen Motiv her nahe beieinanderstehen. Verwendet man Fontanes Terminologie, so handelt es sich bei Storm um eine Geschichte, die die dämo- nisch-unwiderstehliche Macht der außergewöhnlichen Schönheit einer jungen Frau in einer ihrem Wesen fremden, doch homogenen Umwelt demonstriert.
61