Heft 
(1991) 51
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wie zur Hilfeleistung umfassen läßt, lehnt sie ihre Wange an die seine und ver­harrt so einige Sekunden, durch dieses Zeichen der Vertrautheit seine Hoffnung und seine Begierde anstachelnd, ein Gefühl glücklichen Erhörtseins in ihm auf­keimen lassend. Aber während er ihr Entgegenkommen auszunutzen trachtet und sie auf den Platz neben sich drängen will, entzieht sie sich ihm mit Geschick und sitzt, ehe er sich versieht, neben der Mutter, die auf Abfahrt drängt. Als er enttäuscht an ihren Kleidern zerrt, um ihre Entscheidung rückgängig zu machen, beugt sie sich

über den Rand des Sitzes zu ihm herab; ich sah ein Paar dunkle Augen in dem blassen Antlitz blitzen, und die weißen Zähne wurden wieder sichtbar zwischen den üppigen Lippen. .Willst du dich schicken, Hinrich!' sprach sie leise, fast wie mit verheißender Zärtlichkeit; ,oder sollen wir ein ander Mal mit Hans Ottsen zur Stadt fahren? Er hat mich oft genug darum geplagt.'" (S. 71)

Zuckerbrot und Peitsche, Verheißung und Drohung wechseln. Sie weiß den jun­gen Menschen in überlegener Manier zu behandeln, läßt ihn schwanken zwi­schen Hoffnung und Ernüchterung. Er kennt schließlich keinen anderen Ausweg, als ungestüm auf den Bock des Fuhrwerks zu springen und auf die Pferde ein­zupeitschen, so daß die beiden Frauen aufkreischen und der Hausknecht mit einem ,Gott bewahr uns in Gnaden' zurücktaumelt. Eine symbolische Szene im Hinblick auf den Ausgang: auf der einen Seite das listenreiche, gefühlserfahrene Mädchen, das mit Liebesverheißung und Liebesentzug den Mann zugleich in Glut und Distanz zu halten vermag, auf der anderen Seite der schlichte, zur Gewaltsamkeit neigende, den raffiniert angelegten Gefühlsspielen gegenüber bedrückend unterlegene Bauernjunge. Beinahe seit Kindertagen in das Mädchen vernarrt, bleiben ihm nur immer wildere, immer leidenschaftlichere Ausbrüche, die sie nicht beeindrucken, ihr vielmehr das Gefühl völliger Superiorität geben. Den Vollen Ernst seiner Liebesraserei begreift sie wohl erst, als der junge Bauer in den Tod gegangen ist. Zuvor beschränkt sie sich darauf, ihn am Harrenseil zu führen. Dies alles wird angereichert durch eine .Fülle natura­listischer Details* vor allem dort, wo das Wesen des Mädchens zum Ani­malischen hin verschoben wird, aber auch der junge Bauer den Ansturm seines Trieblebens nicht anders begreifen und beschreiben kann als mit den Worten: "Nein, nein, Mutter, Ihr haltet den Bullen nicht!" (S. 98 f) Fontane wäre von dem Satz, zu dem es in seinem Werk kein Pendant gibt, sicher nur peinlich be­rührt gewesen: Eine Art Umkehr seines Verhältnisses zu Storm, der ihm ja in jungen Tagen vorgeworfen hatte, in seinen Formulierungen zur Sexualität zu geschmacklos zu sein.

Hinrich Fehse wird zum Opfer seiner Leidenschaft. Er hat vergeblich versucht, den bäuerlichen Traditionen gerecht zu werden und durch seine Heirat mit einer wohlhabenden Bauerntochter den eigenen Hof zu retten. Daß ihm seine Frau e, inen Sohn schenkt, das vermag zwar seinen Sturz in den Abgrund zu verzögern a ber nicht aufzuhalten. Ein Ausweg scheint sich ihm zu bieten, als seine Frau

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