Heft 
(1991) 51
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schwer erkrankt und er die Hoffnung haben darf, nach ihrem Tode Margarethe Glansky zu heiraten. In dieser Lage besitzt er sogar Übersicht und Urteilskraft genug, das volle Ausmaß seiner Schuld zu erkennen; denn als er, durch ein primitives Orakel getäuscht, den Tod seiner Frau für gewiß hält, bittet er die Kranke um Verzeihung für sein rücksichtsloses Verhalten: er streichelt ihre Hand und sagt:du bist nicht schuld daran; verklag' mich nicht zu hart da oben; du wirst's da besser haben als bei mir. (S. 96) Dieses Eingeständnis seines Versagens hat seine eigene Mutter so gerührt, daß sie dem Amtsvogt, tief in Gedanken, von jenem weit zurückliegenden Abend zu erzählen beginnt, als dieser vom Aktuellsten, nämlich vom Abend des Verschwindens des jungen Bauern hören will. Dessen Worte beweisen, daß er voll guten Willens war und sein Gelübde halten wollte, aber seine Leidenschaft, seine Triebgebundenheit verwehrte ihm, einen ehrenhaften Weg zu gehen. Er ist nicht länger Herr seines Willens. So verzweifelt er sich auflehnt gegen das, was ihm seine freie Entscheidung nimmt, ihn auf einen Weg drängt, den er nicht gehen will, weil er ihn, wie er weiß, nicht gehen darf, sein Widerstand erlahmt:

in der Irre bin ich fünf Stunden lang für wild herumgeritten; Ihr habt selbst dem Braunen den Schaum von den Flanken gestrichen, als ich heim­gekommen; - ich hab' nur nicht zu ihr hinüber wollen; aber es hat mich doch wie bei den Haaren dahin zurückgezogen: - es kriegt' mich unter; ich kann's nicht helfen, Mutter!" (S. 89)

Und genau dies, dieses hilflose Ausgeliefertsein an eine Leidenschaft, gegen die der Mensch nicht aufkommen kann, obwohl er sich mit allen Kräften des Be­wußtseins dagegen wehrt, wiederholt sich in FontanesEllernklipp". Hinrich Fehse ist nur insofern in einer anderen Situation, als er seinen Kampf nur gegen sich selber führt. Wenn ihm Margarethe auch gelegentlich mit einem anderen Manne droht, er weiß, daß auch dieser andere keinen Eingang in ihr Hetz gefunden hat. Nicht so Baltzer Bocholt. Er kennt seinen Nebenbuhler und weiß wen er vernichten muß, wenn er Hilde für sich gewinnen will. Aber die Tat geschieht nicht mit Vorsatz und nach überlegtem Plan. In langen Selbstgesprä­chen sucht Bocholt sich Rechenschaft zu geben von seiner Lage, ringt mit seinem Gewissen. Doch es hat den Anschein, daß er sich bewußt ist, vor einem unent­rinnbaren Schicksal zu stehen. Er begreift zwar, was alles gegen seine Tat spricht, und daß er sich anschickt,ein langes und ehrliches Leben um einer Narretei willen in die Schanze zu schlagen" (S. 235), aber seine Leidenschaft ist stärker als seine Vernunft. Wie klar auch seine Argumentation sein mag, es ist nur ein Scheingefecht, das er durchkämpft. Er schwankt zwischen richtiger Ein­sicht, Selbstmitleid und dem Bewußtsein, dem Kommenden unausweichlich aus geliefert zu sein:

,Was hab ich getan? Nichts, nichts! Mir ist viel angetan, viel Weh und Leid, und wenn ich's in Eitelkeit heraufbeschworen und in Schwäche groß gezogen hab, so bleibt es doch wahr: du mein Herr und Gott, deine Hand

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