Heft 
(1991) 51
Seite
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zeigt seine Reaktion, als er den Sohn in den Tod gestürzt hat:Baltzer starrte kalt und mitleidslos ihm nach und horchte, wie die Kusseln knackten und bra­chen." (237) Dabei ist der SatzDer Teufel ist dein Vater!" (237) von unheim­licher Doppeldeutigkeit. Bocholt will den Sohn damit treffen. Er glaubt, ihm seine Verworfenheit, sein Dem-Bösen-Verfallen-Sein ins Gesicht schreien zu können und enthüllt doch nur sein eigenes Sein. In ihm wird der Teufel wahr­haftig zu Martins Vater. Das Böse in Baltzer Bocholt triumphiert.

So führt die Verwirrung regelrechter Verhältnisse bei Hinrich Fehse wie bei Baltzer Bocholt hin zum Verlust der Willensfreiheit. Sie sind Getriebene, die in äußerster Not die Achtung vor dem Leben verlieren, so daß sie in teils rasender, teils verzweifelter Leidenschaft der eine im Mord, der andere im Selbstmord die Erlösung suchen. Der differenziertere Charakter ist Baltzer Bocholt. Er ist auch derjenige, der sich zu artikulieren vermag, während Storm seinen Hinrich Fehse in den engen Grenzen einer Natur hält, die sich weniger in Worten als in Gesten äußert. Gesten, die zumeist etwas Gewaltsames an sich haben. Und das Zurücktreten der Intelligenz hinter den Willen zeigt sich schon in seiner Physiognomie:Es lag etwas Brütendes in dem Gesicht des jungen Menschen; der breite Stirnknochen trat so weit vor, daß er die Augen fast verdeckte." (S. 70) Dies ist ein Zug, der sich im Laufe der Erzählung verstärkt und um so mehr hervortritt, je auswegloser sich sein Leben gestaltet:Das Gesicht war scharf und mager geworden und die ohnehin kleinen Augen waren unter der vortreten­den Stirn fast verschwunden .. (76) Aber wie auch immer: daß der junge Bauer seinem Leben ein Ende setzt, nachdem sich ihm die Frau, die er liebt, verweigert, ist begreiflich. Daß ein Mädchen, beinahe noch ein Kind, einen reifen Mann so verwirrt, daß er den Sohn ermordet, das bedarf anderer Er­klärungen.

Daß Fontane, um seiner Erzählung den Hauch des Besonderen zu verleihen, seine Heldin mit den Reizen des Languissanten und Illegitimen auszeichnet, gibt sei­nem Werk, wenn man die strenge Linienführung bei Storm vergleicht, fast etwas Erkünsteltes. Es verrät sich darin sein Wille, die Schranken der herkömmlichen Novelle (er selber hätte wahrscheinlich gesagt: des herkömmlichen Novellen­blechs) zu durchbrechen und eine kompliziertere Psychologie durchzusetzen. Ob die Belastung mit einer so ungewöhnlichen Begrifflichkeit zu einer Überfrach­tung der Novelle geführt hat oder ob es Fontane gelungen ist, seine Vorstellun­gen künstlerisch zu integrieren, das muß einer umfangreicheren Interpretation Vorbehalten bleiben. Hier soll der Frage weiter nachgegangen werden, ob Fon­tane in dieser frühen Phase seines Schaffens nur Anlehnung bei Storm gesucht hat oder ob er sich darüberhinaus in Zustimmung oder Widerspruch auch an anderen Dichtungen orientierte. Daß er Storm mit seinen Mitteln übertreffen zu können meinte, darf man annehmen. Er hat den Lyriker Storm immer über den Novellisten gestellt, und wenn er auch nicht deutlich ausgesprochen hat. was ihn an Storms Prosa störte, so ist doch zu vermuten, daß es die schön- rednerische Übermalung jener Sätze gewesen ist, an denen Storms Herz hing. Man wird sich mit einiger Neugier fragen dürfen, ob sich Fontanes Tränen mi t

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