denen seiner Familie mischten, als die Lektüre von „Grieshuus" die ganze „unter Thränenwasset gesetzte(n) Familie F.“ vereinigte. (Ha Br. III/359)
Hat sich Fontane mit seiner Erzählung also nur an Storm orientiert oder werden noch weitere literarische Anspielungen erkennbar?
Als Baltzer Bocholt seinen Sohn tötet, steht er im 50. Lebensjahr, als er Hilde heiratet, ist er 50. Ein Mann von fünfzig Jahren also. Ist es ein Zufall, daß Fontane so deutlich auf das genaue Alter des Heidereiters hinweist, oder verbirgt sich eine Absicht dahinter? Man erinnert sich der Novelle „Der Mann von fünfzig Jahren" aus Goethes „Wilhelm Meisters Wanderjahre" und stellt mit Erstaunen fest, daß, vom Stoff her, bei aller Verschiedenheit im einzelnen, die beiden Erzählungen Gemeinsamkeiten haben: vor allem die junge Frau, die sich zu entscheiden hat zwischen Vater und Sohn. Sie war erst für den Sohn bestimmt und entschloß sich freien Herzens für den Vater. Die Umstände aber fügen es, daß sie sich vom Vater wieder abkehrt und sich dem Sohn zuwendet. In einer Mondnacht entdeckt der Vater, wie regelrechte Verhältnisse verwirrt werden und die Jungen nun selbständig der ehedem von der Familie gewollten Vereinigung zustreben. Sie haben sich, gegen ihren Willen, ineinander verliebt, und dem Vater bleibt nur die Demütigung:
„Nun aber, da er in klarster Nacht ein vereintes junges Paar vor sich gesehen, die Liebenswürdigste zusammenstürzend, in dem Schoße des Jünglings, beide seiner verheißenen hülfreichen Wiederkunft nicht achtend, ihn an dem genau bezeichneten Orte nicht erwartend, verschwunden in die Nacht, und er sich selbst im düstersten Zustande überlassen: wer fühlte das mit und verzweifelte nicht in seine Seele?" (HA, 8, S. 216)
Wir wissen, daß Fontane sich mit dem „Wilhelm Meister" beschäftigt hat, wenngleich schriftliche Äußerungen nur für die „Lehrjahre" vorliegen. Er gesteht dort, daß er „im Anblick dieser wunderbaren Schönheit Tränen des Entzückens vergossen, höchste Freude und tiefsten Schmerz im selben Moment empfunden habe". (NFA 21/2, S. 109) Aber neben dem Ausdruck hoher Begeisterung finden sich doch auch die gewohnten Einwände. Wer je Fontanes Kritik an Goethes »Hermann und Dorothea" gelesen hat, dem wird sich der apodiktische Satz: »So spricht kein pfälzisches Mädchen" (NFA 21/2, S. 105) ins Gedächtnis gegraben haben. Es ist eine ebenso richtige wie verständnislose Feststellung. Ähnliches wiederholt sich bei der Kritik am „Wilhelm Meister". Nachdem beinahe alle männlichen Figuren des Romans abgeurteilt sind, heißt es schließlich:
„der Harfenspieler hält sich, mit Hilfe seiner Lieder, gerade über Wasser. Man streiche die Lieder, so sinkt er klanglos auf den Grund.
Im ganzen genommen wirken mir alle die männlichen Gestalten nicht plastisch genug; ich kann sie mir nicht deutlich vorstellen; sie haben etwas Schemenhaftes, sind Begriffe, die Rock und Hose tragen. Das Interesse leidet darunter. Gewiß hätte Goethe die realistischen Details, die
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