Menschen schlechthin gehört; sie ist jedenfalls ein Gegenstand der Dichtung durch die Jahrhunderte. Und zur Eifersucht gehört, als unerbittlichste Konsequenz, der Mord an dem Nebenbuhler oder dem Beargwöhnten. Der Leser entwickelt zwar ein Gefühl der Befriedigung, wenn er sich zu sagen vermag, daß die Erzählung zugleich ein kulturgeschichtliches Zeitbild vermittelt, wenn er sich sagen darf; „Ja, so können die Umstände beschaffen gewesen sein", aber ihm bleibt doch bei einigem Nachdenken die Einsicht, daß die Tat auch unter ganz anderen Verhältnissen hätte vollbracht werden können. Mit anderen Worten: das dramatische Geschehen und die epische Einkleidung haben nichts miteinander zu tun. Während man in „Unterm Birnbaum" zeigen kann, wie sehr die Zeitlage dazu beiträgt, in Abel Hradschecks Kopf den Gedanken an einen Mord als denkbar erscheinen zu lassen, bedarf man, um die Tat des Heidereiters zu verstehen, weder spezieller Lokal- noch Geschichtskenntnisse. Die breite Entfaltung beider ist also eigentlich für die Erzählung überflüssig. Auch wenn dem Leser dieser Umstand nicht bewußt ist, so wird ihm doch der fehlende Zusammenhang der Tat mit der breit entfalteten Landschafts- und Geschichtswelt zunehmend Unbehagen bereiten. Dies gilt z. B. von der Darstellung der religiösen Strömungen des 18. Jahrhunderts. Natürlich läßt sich begründen, warum Fontane bei der kulturhistorischen Ausmalung seines Romans die religiöse Frage nicht aussparen will. Dem aufklärerischen Pfarrer soll der „erweckte" Kamm- Melcher gegenüberstehen, und durch Grissel soll dieser Gegensatz bis in das unmittelbare Umfeld Baltzer Bocholt reichen. Ja, man könnte so weit gehen zu sagen, daß es gerade diese religiöse Spaltung ist, die den gesetzestreuen und glaubensstarken Heidereiter in seinen moralischen Grundsätzen so erschüttert und verunsichert, daß das Böse in ihm Raum gewinnen kann. Aber dem steht doch entgegen, daß Baltzer Bocholt von dieser Krise unangefochten bleibt und schlechterdings nirgends erkennbar ist, daß dieser Glaubensstreit eine notwendige Voraussetzung für die Mordgeschichte wird. Hat sich Fontane aber in der Tat verleiten lassen, die kulturgeschichtliche Umrahmung zu gestalten, ohne daß eine erzählerische Notwendigkeit dazu bestand, so erklärt dieser Verfahrensfehler seinen Mißerfolg. Wenn Erzählstränge sich verselbständigen, wenn das Verknüpfte sich auflösen läßt, ohne daß dem Werk damit geschadet wird, machen sich Unmut und Langeweile breit.
Ob sich schließlich der Leser mit dem Ende der Erzählung widerspruchslos ab- finden wird, darf bezweifelt werden. Schon bald nach dem Erscheinen der Erzählung hat Zolling darauf hingewiesen (vgl. Theodor Fontane / Romane und Erzählungen in acht Bänden, Berlin, 1969, S. 591), daß es doch höchst fragwürdig sei, daß Hilde am Ende den Heidereiter heirate und damit ihre Willenlosigkeit und Beeinflußbarkeit einräume, während Fontane doch ein ganzes Kapitel darüber eingeschoben habe, daß sie einen Willen besitze. Hätte diese Wandlung dem Leser nicht einsichtig gemacht werden müssen? Was Fontane darauf zu erwidern hat, ist dünn und fadenscheinig:
„Ich glaube, daß die Frage, die Sie stellen, durchaus berechtigt ist, und
glaube zweitens, daß es Talente gibt, die diesen Fehler ... vermieden
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