hätten. Aber das eine fühl ich sicher, daß ich, wenn ich den Fehler hätte vermeiden wollen, einen größeren begangen hätte . .. Ich war, von meinem 16. Lebensjahre an, Balladenschreiber, habe mich später daraufhin einexerziert und kann deshalb, meiner Natur und Angewöhnung nach, von der Ballade nicht los. Die Ballade liebt Sprünge; ja diese Sprünge sind ihr Gesetz, ihre Lebensbedingung. Sie geht davon aus: Lücken und Unbestimmtheiten, selbst wenn sie sich bis zum Fehler steigern, sind immer noch besser als Plattheiten und Alltäglichkeiten, die viel mehr als Nacht und Dunkel der Tod der Poesie sind. Dies balladeske Gefühl leitet mich bei allem, was ich schreibe, und ich fühle deutlich, daß ich mich, trotz der Salto mortales, die diese Führung mit sich bringt, doch keiner anderen anvertrauen darf. Aber freilich an dem für die Erzählungsliteratur geltenden Gesetz, das mir sehr wahrscheinlich entgegensteht, wird dadurch nichts geändert ..." (a. a. O., S. 591 f)
Natürlich ist verständlich, daß Fontane zeitlebens stolz auf seine Balladen war. Daß er sich indessen freute, wenn man ihm nachwies, daß seine Erzählungen seinen Balladen verpflichtet seien, ist zweischneidig. Und er hat das, wie der letzte der zitierten Sätze zeigt, auch gewußt. Die Berufung auf die Ballade wirkt angesichts einer ganz auf die Psychologie ausgerichteten Novelle unstimmig.
Im übrigen nimmt am Ende das psychologisch Inkonsequente vollends überhand, und dichterische Willkür macht sich breit. Fontane will seine Geschichte, ihrer dramatischen Zuspitzung zum Trotz, harmonisch enden lassen. Er hat sich zu oft gegen Dichtungen ausgesprochen, die dem Leser am Ende nur Betrübnis und Verzweiflung lassen. Da wird dann Hilde von der Gräfin in ihr Herz geschlossen, und diese findet eine späte Freude an dem Kind, das doch schon apart genug war, als es noch klein war; und zu guter Letzt wird Hilde von ihrem eigentlichen Charakter ganz erlöst, denn alles Apathische und Languissante, das Fontane doch als Zentrum der Erzählung angesehen haben wollte, fällt schlagartig von ihr ab, und sie findet ihre Lebensaufgabe in den Werken der Nächstenliebe. Auch der Religionsstreit wird beigelegt. Ein neuer Pfarrer tritt an Sörgels Stelle, und rasch vollzieht sich die Versöhnung der Amtskirche mit der pietistischen Bewegung. Die Welt wird bedeckt mit einem Tuch aus Harmonie und Langeweile. Für Hilde aber wird dieses Tuch zu einem Leichentuch, und es schadet wenig, daß der Dichter bei diesem Ende kaum an eine fröhliche Auferstehung geglaubt haben dürfte.
Anmerkung
Zitiert wird nach der Fontane-Ausgabe der Nymphenburger Verlagshandlung München (NFA), soweit nicht ausdrücklich anderes festgestellt wird. Die Seitenzahlen zu „Ellernklipp"-Zitaten beziehen sich auf Band II dieser Ausgabe. Briefe' soweit nicht anders vermerkt, werden wiedergegeben nach der umfangreichsten Auswahl von Fontane-Briefen im Hanser-Verlag München. (Ha Br I-IV) Storm
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