Heft 
(1991) 51
Seite
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soll dies ein Roman werden? und wenn es ein Roman werden soll, welche Regeln und Gesetze sind inne zu halten? (.. .) Es war mir nicht um Con- flikte zu thun, sondern um Schilderung davon, wie daß große Fühlen das damals geboren wurde, die verschiedenartigsten Menschen vorfand und wie es auf sie wirkte. Es ist das Eintreten einer großen Idee, eines großen Moments in an und für sich einfache Lebenskreise. Ich beabsichtige nicht zu erschüttern, kaum stark zu fesseln [. ..] . 30

Vor allem täuschte sich Fontane in seinem Publikum, von dem er noch 1882 annahm, er erreiche es mit einemVaterländischen Roman" jederzeit:

Mir mitErfolgen" zu schmeicheln, hab ich längst verlernt, aber anderer­seits weiss ich doch auch, dass ich ein kleines Publikum habe, das fest zu mir hält und nun seit Jahren daran gewöhnt ist, in der Woche vor Weihnachten drei oder vier Mark an seinenvaterländischen Schriftsteller" zu setzen. Haben mir die betr. Geschäftsleute nichts vorgelogen, so zählt das Publikum doch immer nach hunderten. Mögen mich die Thatsachen schliesslich nicht Lügen strafen. 31

Sie haben ihn Lügen gestraft. Aber der Tatbestand wurzelt tiefer.

Die Forschung 32 hat jetzt aufgearbeitet, wie Fontane in den siebziger Jahren noch an älteren Vorstellungen vom kaiserlichen Mäzenat hängt (man denke an die Widmung seiner Kriegsbücher, aber auch an Pensionen und Dotationen für seine Bemühungen). Mit seinem Übergang zur Vossischen Zeitung (1870) wurde eine Entwicklung angebahnt, die ihn nach schmachvollen Erfahrungenmit der total konfusen Staatsmaschinerie" (1876) an die Seite neuer Verleger und Kri­tiker (dieZwanglosen"), eines neu sich konstituierenden Literaturbetriebes bringt. 33 Über den Umschichtungsprozeß hat er nachgedacht und geschrieben, als er seine Scherenberg-Biographie erarbeitete, die er 1884 veröffentlichte, aber auch Jahre später noch, als er mit Julius Rodenberg von der Deutschen Rundschau4 über ältere Formen des Mäzenatentums korrespondierte. 3 Man kann und muß diese Wegstrecke mit Vor dem Sturm in Verbindung brin- g e n, weil Fontane geradezu beschwörend aufdas große Fühlen" Bezug nimmt, als er sich auf neue Weise entwurzelt sieht. Politisch-historische und literarisch- s oziale Momente durchdringen sich dabei, und es zeigt sich, daß ältere Erfah- fungen und neue (nach 1870) Zusammenwirken. Mitte der fünfziger Jahre, als er über Freytags S oll und Haben nachdenkt, schreibt er:Unsere Mitbeteiligung am Regiment ist gering oder ist null, wir regieren nicht mehr, wir werden re giert. Daraus entsteht eine Beschränktheit in den großen Dingen des Lebens, ein Angewiesensein auf den engsten Beruf, das durch dilletantische Versuche auf allen Gebieten sich rächt." 35

Beschränktheit in den großen Dingen des Lebens' korrespondiert offen- si chtlich mit demEintreten einer großen Idee in an und für sich einfache Lebenskreise'. Mehr noch: Freytags Roman ist für Fontane einLabsal für ein deutsches und preußisches Herz"; zugleich aber müsse ermit dem Verfasser Achten", weil sich dieserbis zur Ungerechtigkeit' gegen den Adel habe hin- rei ßen lassen. Dem echten Bürgertum müsse der echte Adel gegenüberstehen,

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