Heft 
(1991) 51
Seite
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zu tun, in letzter Konsequenz mit .Sozialer Romankunst in Deutschland". 43 Fontane faßt (an Rodenberg, 31. November 1878) die ersten Reaktionen in der Bemerkung zusammen, daß andere Schriftsteller ihm die Hand schütteln,die Fremden (das große Publikum), einen Mittelkurs haltend, halb flau-, halb wohl­gesinnt bleiben, die Freunde aber allemal durch Ignorierung, Nüchternheit und Nörgelei glänzen. [...] Nichts wird so niedrig taxiert wie Bücher.' 44

Hier wird untertrieben und weitergesucht, und als der bereits mächtige, Zeit­schriften beherrschende Redakteur Julius Rodenberg, mit der offiziellen Li­teraturgeschichtsschreibung um Wilhelm Scherer eng verbunden, 45 eine sehr verbindliche Kritik des kompositorischen Hauptpunktes in der Deutschen Rund­schau folgen läßt, lenkt Fontane ein und gewinnt dabei neue Aspekte für seine Etablierung auf dem Markt, die freilich noch Jahre auf sich warten läßt. Sein Versuch, die Fronten zu wechseln, war - nicht zuletzt - mit der Aufgabe seines in Vor dem Sturm noch behaupteten Wirkungskonzepts, der Gewinnung neuer Helden und Stoffe, verbunden. Der Absprung in die Gegenwart und die Ver­lagerung der Szenerie vom Lande aus in die Stadt Berlin war unübersehbar mit einem Zurückdrängen der großen Geschichte verbunden. Noch folgte (nach den Chroniknovellen) Schach von Wuthenow mit der Zeitebene von vorgestern (vor 1806) - schon aber drängte sich die preußische Gegenwart der Nachgründer­jahre (mit ihren Verflachungen auf derStation .Äußerlichkeit" 46 , wie er es nannte) in seine Texte. Am 29. Januar 1879, als die Entwürfe zu einem Berlin- Roman mit dem Thema Allerlei Glück - Allerlei Moral schon weit gediehen sind, aber aus Absatzgründen zurückgestellt werden, schreibt er zum zweiten Male an Rodenberg:

Sie lösen die Gentleman-Aufgabe, wohltuend zu loben und zu tadeln (je­nes ebenso schwer wie dieses) [...]. Wie fein die Bemerkung, daß das, was ein Epos sein solle, hier im wesentlichen eine Aneinanderreihung von Balladen sei. Es trifft nicht nur den schwachen Punkt, es erklärt ihn auch, ja, glorifiziert ihn halb.Wir vermissen nicht den äußren Zusammenhang, wohl aber fehlt zuweilen der organische, der künstlerische' - durch diese wenigen Worte haben Sie mich in meinem bisherigen Widerstande be­siegt. [...) selbst Heyse, auf den ich begreiflicherweise viel gebe, hatte mich nicht belehren können. [...] Es kann nicht ausbleiben: eine bessere, wahrere Zeit bricht auch in literarischen Dingen an. Viel werd ich davon nicht mehr sehn; aber es ist schon ein Vorzug, in dem Glauben an sie sein Tagewerk beschließen zu können 47

Diese Äußerungen lassen ahnen, daß Fontane mehr als Gattungsfragen ange- sprochen sieht. Vordergründig lobt er die Methode der Kritik, die Einheit von Lob und Tadel, die es gestattete weiterzuarbeiten. Schon am Tage nach seinem Antwortschreiben wiederholt er an Hertz:Das Feinste und Zutreffendste ist aber der Tadel, den er (Rodenberg] ausspricht; das laß ich mir gefallen; die Schwächen liegen genau da, wo die Vorzüge liegen, und wenn einerseits da s Balladen- und Wanderungskapitel-hafte dem Buche Frische, Fleisch und Leben leiht, so hebt es doch partiell die Kunstform des Ganzen auf.' 48

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