mans, ist es, die Fontanes Meßlatte für Schuld und Bewährung so bezeichnend vordergründig ausspricht, daß wir dabei tiefer in das Geflecht von sozialer und individueller Freiheit eindringen können. „Sie sah in die Welt wie in einen Traum und schritt selber traumhaft darin umher. Ohne sich Rechenschaft davon zu geben, stellten sich ihr die hohen und niederen Gesellschaftsgrade als bloße Rollen dar, die wohl dem Namen nach verschieden, ihrem Wesen nach aber gleichwertig waren." (I,82) Das Bild vom Lübecker Totentanz im Hause des Schloßherren verkörpert ihr die „Predigt von einer letzten Gleichheit aller irdischen Dinge": „anspruchslos aber treu", fern aller „Lüge und Scheinwelt' bewegt Fontane diese Traumgestalt durch den Roman, ist er bemüht, den märkischpreußischen Loyalitätskonflikt, die politische Komponente des vaterländischen Sujets darin aufzuheben. Aber es gibt auch tiefere Beziehungen zwischen dieser Abstraktion und der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dem Rollenspiel als Bewährungsfeld menschlicher Größe blieb er auch dann treu, als seine Heldinnen später neue soziale Charaktere hinzugewonnen hatten, die Witwe Pittelkow nicht weniger als Effi Briest und Mathilde Möhring.
Der flehentliche Anruf des Königshauses in gefährdeter Zeit ist sicher mit dem preußischen Staat untergegangen, zumal er auch geeignet war, eine der Stiftungslegenden der Hohenzollern zu bedienen. Mit seiner beschwörenden Geste zur öffentlichen Verantwortung, in der Erinnerung an das „große Fühlen" des Jahres 1813 streift er eine Sentenz seines späteren Bewunderers Heinrich Mann, wenn dessen Zeitalterbesichtigung zu der Einsicht führt: „Wäre es schmerzlich bis nahe der Selbstvernichtung, das Leben stark fühlen ist alles". 55 Heinrich Manns Blick freilich ruht auf dem französischen (1789) und russischen (1917) Revolutionen. Das Ende der Weimarer Republik und die Pervertierung preußisch-deutscher Tradition durch Hitler bilden den Anstoß (1943 folgte die Wende des Krieges: Stalingrad). Die Spaltung in öffentliches Denken und private Innerlichkeit, die Georg Lukács dem deutschen Romancier Fontane (1950) mit Blick auf die Figur des Berndt von Vitzewitz vorwirft (als „Halbheit" auch ihres Schöpfers), sie bildet ein Generalthema deutscher Geschichte, das bei Fontane so spezifisch innerlich und als Folge eng-national („Deutschsein heißt Treusein'), aber nicht ohne gesellschaftliche Relevanz abgehandelt wird. „Fest sein im Guten." Das kann mit den Ladalinski-Passagen sogar auf die Frage des Nationenwechsels bezogen werden, eine sicher überholte Frage. Aber wenn auch der zeitweilig „untreue" Tubal Ladalinski „ohne Selbstsucht" stirbt, dann ist eines der Schlüsselworte gefallen: Selbstsuchtlosigkeit in geschichtlicher Bewährung.
Dennoch kann der Roman die „große Idee" 56 nicht annähernd so tiefgründig wie Tolstoi in Krieg und Frieden (entstanden 1864-69) gestalten. Die heroische Attitüde der „mittleren Helden" aus dem russischen Adel erwächst aus einer nicht vergleichbaren Verwurzelung im Volke. Kutusow und sein Verhältnis z u Napoleon offenbaren ein vollkommen anders gelagertes Verständnis der Geschichte. Solange der Kaiser der Franzosen bei Fontane nur Bösewicht ist (Regi- cide), so lange können Bammes Ansichten über bürgerliche Helden und ihr e Ebenbürtigkeit nicht den Horizont moralischer Bewährung (Treue) überwinden.
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