Weil Napoleon ohne die Französische Revolution gesehen wird (diametral anders nennt Pierre Besuchow bei Tolstoi die Revolution eine »große Tat'), verengt sich der geschichtliche Blick bei Fontane auf einen aufhebbaren Loyalitätskonflikt, ohne daß die geschichtliche Bewegung vollständig aus dem poetischen Bild gedrängt wäre. Öffentliches Fühlen und private Bewährung bilden eine nur mühsam aufgelöste Spannung, und hierin (vor allem) findet Fontanes „äch- ter Conservatismus" 57 seine Erklärung. „Geld und Geschichte' (Faucher) gingen nicht mehr zusammen. Das „große Fühlen' und die kleinen Zwecke der liberalen Bourgeoisie bildeten für Fontane keine Einheit.
Ganz unverzichtbar bleibt die Kenntnis des Romans für Fontaneliebhaber. Vor den Berliner Romanen gearbeitet, mitten in umfassender Neubesinnung vollendet (wirtschaftliche Krisen der siebziger Jahre weisen auf die große Krise des bonapartistischen Systems im Deutschland der neunziger Jahre voraus), noch gebunden an die Literaturvorstellungen der sechziger Jahre auf Seiten Fontanes über vaterländische Dichtung, schon konfrontiert mit den nivellierenden Wirkungen eines veränderten Marktes, mithin auch wirkungsästhetisch (kompositorisch) eine ebenso lockere wie gewaltsame Fügung - bildet der Roman die entscheidende Drehscheibe vom mittleren zum alten Fontane, eröffnet er den Durchbruch zum kritischen Erzähler der Gegenwart, der seine Stoffe und Figuren stärker durchdringt, Zeiterfahrung anders einbringt.
Thomas Mann hat diesen Zug nachempfunden, und Pierre Bange hat den Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit als konstitutiv daran nachzuweisen versucht: „Der Dichter ist konservativ als Schützer des Mythus. Psychologie aber ist das schärfste Minierwerkzeug demokratischer Aufklärung.' 58 Und das trifft nicht nur auf Fontane und Mann zu, das ist keine erledigte Fragestellung. Fontane stand damals am Anfang eines neuen Weges, ohne Anfänger zu sein.
Der Beitrag erscheint in: Interpretationen: Fontanes Novellen und Romane. Herausgegeben von Christian Grawe. Stuttgart: Reclam 1991. (Universal-Biblio- thek Nr. 8416 [4]). Wir danken dem Verlag Philipp Reclam für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.
Anmerkungen
1 Hanser Briefe, II, S. 626 (an Paul Lindau, 23. Oktober 1878).
2 Ebd., S. 547 (an Mathilde von Rohr, 1. November 1876).
3 Dichter, II, S. 220 (an Hermann Kletke, 6. November 1878). Vgl. Helmuth Nürnberger, „Fontanes Briefe an H. Kletke", in: Fontanes Realismus. Wissenschaftliche Konferenz zum 150. Geburtstag Theodor Fontanes in Potsdam. Vorträge und Berichte, hrsg. von Hans-Erich Teitge und Joachim Schobeß, Berlin (Ost] 1972, S. 169-183.
4 Hanser Briefe, II, S. 637 (an Wilhelm Hertz, 24. November 1878).
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