selbstkritischen Autor, besonders wenn die eigene Person dabei ins Spiel kommt, bildet dazu keinen Widerspruch, eher eine Bestätigung. Fontane war als gestaltender Künstler zurückhaltend in der Verwendung autobiographischer Elemente, aber die Frage nach dem Selbstverständnis des Künstlers betraf wie keine andere die eigene Identität. Gemessen an anderen Autoren - etwa an Thomas Mann - hat er das Thema in eher unauffälliger Weise umkreist. Gleichwohl handelt es sich um einen ebenso ernsten wie eigenständigen Beitrag, der im folgenden am Beispiel einiger Gedichte - mehr ist aus Raumgründen nicht möglich und vielleicht auch nicht zu wünschen - in seinen wichtigsten Zügen besprochen werden soll.
Der Kontext der Romane und Erzählungen bleibt dabei stets zu berücksichtigen. Sie führen breiter aus, was in den Versen verdichtet sich darstellt, und sie bevorzugen im allgemeinen eine mehr objektivierende Perspektive. Eine ganze Auswahl fiktiver Künstler, Dilettanten, Viertelkünstler und mit Kunst befaßter Kritiker tritt in diesen Prosawerken auf. Wie sie vom Erzähler beschrieben werden, ist aufschlußreich genug, zumal sie zuweilen damit beschäftigt sind, eigene Werke, meist Gedichte, vorzutragen - und dabei handelt es sich dann, wie der Leser erkennt oder vermutet, in Wahrheit um Gedichte Fontanes. Während in den frühen Novellen Geschwisterliebe und James Monmouth lyrische Einsprengsel - romantisches Erbe - sich ganz unreflektiert finden, kommt in der Zeit seiner reifen Prosakunst eingeschobenen Gedichten meist eine andere Funktion zu: in ihren Stärken und Schwächen kritisch erörtert, dienen sie der Objektivierung der Personen und des Milieus, von denen und in dem sie vorgetragen werden. Fontane verwendet dafür Gedichte aus seiner Jugend, zu denen er nun vermehrt Abstand gewonnen hat oder (dies läßt sich nur vermuten, vielleicht handelt es sich auch um geschickte Funde) in ironischer Absicht neu erdachte Verse wie das bekannte „Glück von allen deinen Losen' in Frau Jenny Treibel. Er erfindet - oder zitiert - also Verse, mit denen er sich nicht (mehr) identifiziert, bis hin zu raffiniert komponiertem Kitsch. Man kann auch sagen: er bringt wahre Emotionen in einen falschen Kontext, um umzulängliches oder obsolet gewordenes Künstlertum zu desavourieren, wobei er sich selbst am wenigsten schont. Das „Herzenslied" der sentimental-aggressiven Kom- merzienrätin ist „ein wirkliches Lied', und sein Verfasser, der so deutlich Züge Fontanes trägt, der Professor und einstige Student Schmidt, den die von ihm einst umworbene Jenny klüglich nicht geheiratet hatte, weint vor sich hin, als er es am Schluß des Romans ein weiteres Mal zu hören bekommt. „Alle echte Lyrik hat was Geheimnisvolles. Ich hätte doch am Ende dabei bleiben sollen .' 6
Mit kaum geringerer Ironie behandelt Fontane im Kapitel „Kastalia' seines ersten Romans Vor dem Sturm das literarische Debüt des Kandidaten der Theologie Himmerlich, der seine Übersetzung eines englischen Gedichts Der Sabbat vorträgt. Autor dieses Gedichts ist angeblich ein junger Fabrikarbeiter Wilber- force - der Name stammt von einem philantropisch gesinnten britischen Politiker, der maßgeblich an der Abschaffung des Sklavenhandels beteiligt war in Wahrheit aber der englische Arbeiterdichter John Critchley Prince, den Fon-
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