Heft 
(1991) 51
Seite
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Fontanes späte Lyrik, die neben dem epischen Alterswerk, jedoch in produk­tiver Verbindung mit ihm entsteht, reflektiert in zurückgenommener, oft bis zum Unscheinbaren verdichteter Weise existentielle Probleme und Erfahrungen.

Publikum

Das Publikum ist eine einfache Frau Bourgeoishaft, eitel und wichtig.

Und folgt man, wenn sie spricht, genau.

So spricht sie nicht mal richtig.

Eine einfache Frau, doch rosig und frisch.

Und ihre Juwelen blitzen.

Und sie lacht und führt einen guten Tisch,

Und es möchte sie jeder besitzen. 15

Publikum ist erstmals 1889 gedruckt worden, es zählt zu den in die dritte Auf­lage der Gedichte neu aufgenommenen Stücken. Vermutlich sind die Verse nicht lange vor dem Druck entstanden beziehungsweise abgeschlossen worden, also das Werk eines annähernd Siebzigjährigen, der bereits seit einem halben Jahrhundert publizierte. Im Alter ist Fontane zu dem Verfahren übergegangen, neue Gedichte hauptsächlich in Verbindung mit neuen Auflagenanzufertigen'' so müßte man wohl sagen, wenn man ihn wörtlich nehmen wollte.

"Allmälig geht es wieder auf den Sommer los', schreibt er am 15. April 1887 an Wilhelm Hertz,den ich diesmal, wenn es sein kann, an die Vollendung vieler halb- und dreiviertelfertiger Balladen und Gedichte setzen möchte.' Voraus­setzung dafür ist die Zustimmung des Verlegers, sonst wird der Autor sich "hüten, 6 Wochen Arbeit an eine Balladenkunst zu setzen, die nicht nur selbst- v erständlich brodlos, sondern außerdem auch noch nutzlos ist". Ihm geht es nämlich, wie er vorgibt, nur noch um seineDichterbeweisführung vor a n - d e r e n [.. J vor mir selber brauche ich es nicht mehr und komme mit dem geplanten und gedachten Gedicht gerade so weit, wie mit dem ausgeführten." 16 Merkwürdig. Scheut der Dichter dieLaboratoriumsarbeit [. ..] bei vorn ge­schlossener Apotheke', die, wie er erläutert,nur kostet und nichts einbringt, w obei ich nicht an Geld denke?' 17 Nicht selten - es gibt allerdings auch groß- artige Gegenbeispiele - hat Fontane sich über Kunst und künstlerische Arbeit mit scheinbar hausbackener Nüchternheit, grämlicher Bitternis, satirischer Schärfe geäußert - und hat doch niemals von seinem Tun abgelassen.

gibt Verse aus seiner Feder, die in mehr anekdotischer Weise ein zufälliges Publikum wirklichkeitsheischend und anschauungssatt beschreiben:Luftig die Kleider, kokett die Hüte, / Vorn an der Brust eine Heidekrautblüte,/ So sitzen sie da,- Lorgnon und Gläser / Richten sich auf die Lurenbläser', heißt es in den v o n ihm selbst als besonders gelungen erachteten Luren-Konzert. 18 Demgegen­über handelt es sich bei unserem Gedicht um das Publikum schlechthin, das G e genüber des Künstlers, gesehen und umworben mit seinen, Fontanes Augen.

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