Heft 
(1991) 51
Seite
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Was kann ihm die Anerkennung dieser Gruppe von Menschen bedeuten, die sich überschätzt, die umschmeichelt sein will, die des Idioms nicht mächtig ist, dessen sie sich bedient? In der ersten und fünften Zeile von Publikum lautet es in den Entwürfen statteine einfache Frau zunächst,ne dumme Frau' bezie­hungsweiseeine törichte Frau'. 19 Am schwersten scheint der Vorwurfbour­geoishaft' zu wiegen, wenn man an Fontanes schroffe Ablehnung der Bourgeoi­sie sich erinnert, in deren Sprache er bis in die feinen Differenzierungen des Tons und der Wortwahl hinein die ästhetische und soziale Lüge erkannte. Er hasse" die Bourgeoisie, diefurchtbar' sei, hat er in Briefen geschrieben. 20

Aber von Haß ist in Publikum wenig zu spüren (und wieviel künstlerische Be­zauberung muß diesem Haß jederzeit beigemischt gewesen sein, wenn er im­stande war "Gestalten wie die Kommerzienräte Van der Straaten und Treibel, wie Jenny Treibel, née Bürstenbinder, hervorzubringen).Rosig und frisch' ist die Frau, die das Publikum personifiziert, sie kann lachen, ist eine gute Gast­geberin, die Juwelen - vielleicht etwas zu auffällig - blitzen verheißungsvoll, Ihre erotische Anziehungskraft fragt, wie das Leben selbst, nach keiner Recht­fertigung.

Die Distanz zwischen diesem Künstler und diesem Publikum scheint fast un­überbrückbar. Jahrzehnte früher hatte der junge Poet im Tonfall konventio­neller Galanterie einer Dame ins Stammbuch geschrieben:Was ist aus Dichtern schon alles geworden?/ Hof rate mit und ohne Orden; -/ Mir aber scheint der Preis auf Erden:/ Von Frauenherzen verstanden zu werden.' 21 Die gefälligen Verse lassen, für sich genommen, noch nicht sicher erkennen, wie ernst es Fon­tane mit diesemPreis auf Erden' gewesen ist; als Erzähler, Schöpfer unver­geßlicher Frauengestalten, hat er es immer wieder unter Beweis gestellt. Aber die Einsamkeit des Künstlers wird durch seine Sympathie für das Dargestellte nicht aufgehoben.

Was Fontanes Gedicht Publikum die klare Kontur gibt, ist die Kürze, mit der er über den vielbeklagten Gegensatz von Kunst und Leben hinweggeht. Kein Wort über den Dichter und seine Kunst, nur das erotisch bezeichnete Objekt, Begehren, dem Werbung folgt. In der Faszination, die es spiegelt, exemplifi- ziert Publikum selbst die leidenschaftliche Hingabe des Künstlers und seine gestaltende Kraft. Nicht zufällig hat Thomas Mann in seiner Besprechung von Conrad Wandreys 1919 erschienenen, grundlegenden Fontane-Monographie be- sondern auf diesePersonifikation des Publikums" inacht unglaublich sicheren Versen' hingewiesen. 22

Lebenswege

Fünfzig Jahre werden es ehstens sein.

Da trat ich in meinen erstenVerein". Natürlich Dichter. Blutjunge Ware:

Studenten, Leutnants, Refrendare.

Rang gab's nicht, den verlieh dasGedicht", Und ich war ein kleines Kirchenlicht.

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