Heft 
(1991) 51
Seite
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Mitglied gewesen, hatte danach einem literarisch-politischenHerwegh-Klub' radikaler Burschenschaftler nahegestanden. 28

Im Rückblick spricht der Autor nur von Literatur. Die es damit nicht so genau genommen hatten wie er, die nunmehrigen »Genräle und Chefpräsidenten', distanzieren sich von ihm - auch Fontanes Lyrik ist, wie seine Romane, auf den Dialog gestellt - durch eine gesellschaftliche Redeweise, die übrigens nicht überall so jovial ausfällt wie auf »stillem Tiergartenpfade'. Die Frage nach der sozialen Stellung des Schriftstellers hat Fontane naturgemäß bereits früh und dann immer wieder beschäftigt. 29 Scharf gesehene Momentbilder in Versen Aus der Gesellschaft behandeln die Begegnung zwischen dem »offiziellen Preu­ßen' und demberühmten Sänger'. 30 Auch aus Lebenswege spricht schmerzliche Erfahrung. Man darf zweifeln, ob der Spaziergänger Frau Emilie den Gruß der Exzellenz bestellt hat. Spätestens seit 1876, als ihr Mann die Chance, zu­letzt doch noch Geheimrat zu werden, verscherzt hatte, zweifelte sie an seiner Bereitschaft, sich im äußeren, besonders im beruflichen Leben so einzurichten, wie es, nach ihrer Auffassung, die Umstände erforderten.

Dennoch ist Fontanes Ton nicht bitter. Nicht umsonst ist von einem Altar (der Kunst) die Rede. Souveräne Könnerschaft spricht sich in bescheidenen Wendungen aus: Lafontaine war ja schon bald das umjubelte größte Kirchen­licht desTunnels", dieserKleindichterbewahranstalt' (Geibel) gewesen, und der Spaziergänger im Tiergarten ist der Autor von Irrungen, Wirrungen. Ge­fordert ist Bescheidenheit allerdings, weil hier, wenngleich im alleralltäglichsten Ton, ein Lebensrückblick erfolgt; 31 sub specie aeternitatis betrachtet, verliert alles an Wichtigkeit. Wohl dem, der da von sich sagen kann, ein kleines Kirchen

licht gewesen zu sein.

Wie ernst es Fontane ist, zeigt ein unauffälliges Zitat. »Aber ach, wo bist de Sonne geblieben?' fragt das lyrische Ich in der Erinnerung an die dichterischen Anfänge und Hoffnungen der Jugend. Dabei handelt es sich, kaum variiert, um eine Zeile aus dem einst weitverbreiteten Abendlied »Nun ruhen alle Wälder' von Paul Gerhardt (Wo bist du, Sonne, blieben?') 32 , von dem Fontane in dem Mittenwalde-Kapitel der W anderungen durch die Mark Brandenburg als einem »Musterstück einfachen Ausdrucks und lyrischer Stimmung' spricht. 33 Auf Paul Gerhardt hat er sich auch in der Krise von 1876 berufen:Eine Strophe von Paul Gerhardt' seimehr wert als 3000 Ministerial-Reskripte', heißt es in einem seiner Briefe an Mathilde von Rohr. 34

In Fontanes später Lyrik zeigen sich dieselben großen Vorzüge seiner Kunst wie in seinen Romanen und Briefen. Diese Kunst zielt, geleitet von einem tie­fen Sinn für das Echte, letztlich auf nichts anderes als das, was Fontane an Paul Gerhardt rühmt: auf die mit den Kunstmitteln der eigenen Zeit gestaltete, der Wirklichkeit dieser Zeit gemäße Poesie.

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