der Verdeutlichung menschlichen Befindens. Dabei ist es häufig den Lesern überlassen, die Zusammenhänge, wie in diesem Fall, selbst herzustellen: Die Platanen im Briestschen Garten vor dem verhängnisvollen Wasser, in dem symbolisch die Schuld der Ehebrecherinnen versenkt wird, erscheinen schon im ersten Kapitel des Romans. Das feine Rieseln im Laub dieses Todessymbols ist später das letzte Geräusch, das Effi unmittelbar vor ihrem Tod „mit eine(m) Gefühl der Befreiung" und den Worten „Ruhe, Ruhe" (EB 294) hört. Der Zug, nicht nur als fernes Geräusch, sondern auch als sichtbarer Gegenstand, ist wiederholt das Medium, an dem sich Effis unerfüllte Sehnsucht entzündet. Daß sie nach ihrer Scheidung von ihrer Wohnung aus auf den Bahnhof Gleisdreieck und den Matthäikirchhof dahinter blickt, spricht für sich. Das dritte Geräusch aber, das Effi in der zitierten Passage hört, verdient über diesen Roman hinaus besondere Beachtung, weil es ein von Fontane immer wieder verwendetes Mittel darstellt, durch Gehörseindrücke Zeit zu vergegenwärtigen: das Schlagen einer Uhr. Effi zählt die Schläge der Turmuhr, die ihr Gewissen wecken.
Dieses bisher offenbar unbeachtet gebliebene Phänomen bei Fontane soll das Thema der folgenden Ausführungen bilden. Als Glockenschall und Uhrenschlag tritt es in zwei Varianten auf, und zwar so häufig, daß man auf den ersten Blick versucht ist, von einem vorhersehbaren ..., nein, vorherhörbaren Topos zu sprechen. Es gibt nur einen Roman (DIE POGGENPUHLS), in dem Fontane nicht Glocken klingen oder Uhren schlagen läßt, um die Zeit anzuzeigen. Die genauere Betrachtung dieses erzähltechnischen Details aber macht seinen subtilen Gebrauch durch Fontane deutlich.
Es handelt sich dabei um ein reizvolles Erzählelement, weil es das Szenische und das Zeitliche im Roman verbindet; und da entgegen Herman Meyers Urteil, daß die Erforschung der Zeitgestaltung im Roman wesentlich weiter fortgeschritten sei als die der Raumgestaltung, 5 bei Fontane das Umgekehrte der Fall ist, lenken die folgenden Beobachtungen vielleicht den Blick auf andere unter- suchenswerte zeitliche Strukturen in Fontanes Werk und geben darüber hinaus die Anregung, die vernehmbare Zeit auch bei anderen Erzählern zu beachten. Erzählen ist ohne zeitliche Struktur nicht denkbar, und da der realistische Roman des 19. Jahrhunderts die empirisch-chronologische Ordnung der menschlichen Welt nicht in Frage stellt, ist sein zeitlicher Rahmen klar definiert. Mit Untersuchungen etwa über das Verhältnis von erzählender und erzählter Zeit, von Zeitraffung und Zeitdehnung und von externer und interner Chronologie hat man die Beziehung zwischen dem vorgegebenen Zeitsystem und seiner Verarbeitung im Erzähltext zu präzisieren unternommen, seit Günther Müller nach 1945 dem Phänomen der literarischen Zeitgestaltung intensive Anstöße gegeben hat. Dabei wird meist erörtert, wie das Vergehen von Romanzeit gestaltet wird, weil die Forschung dazu neigt, Handlungsabläufe insgesamt zu untersuchen und sich auf Zeitfluh und Zeitproportionen im großen zu konzentrieren. Der Augenblick, der einzelne Zeitmoment und seine erzählerische Fixierung scheinen weniger zur Analyse herauszufordern, obwohl das doch bei der Strukturierung von Erzähltexten ebenso wichtig ist. Es markiert Zeit und hilft dadurch den Moment, das sich unmittelbar Ereignende konstituieren.
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