Heft 
(1991) 51
Seite
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(..U 142), sondern auf vernehmbare Weise, so daß es von den Roman­figuren selbst wahrgenommen werden kann (etwa:Die Turmuhr der Martins­kirche schlug eben zwölf, als zwei Wagen vor dem Palais der Prinzessin hielten, [. ..))'. Die Zeit wird so Teil des Szenischen und damit potentieller Erlebnis- und Handlungskatalysator der Romangestalten selbst. Sie kann etwa, wie im Fall Effis, einen Denkprozeß auslösen und Teil ihres Selbstgesprächs werden (Zehn (...] Und morgen um diese Zeit (...)').

Es gibt in UNWIEDERBRINGLICH sogar eine Episode, wo Fontane eine Zeit­angabe durch eine Erzählerstimme innerhalb der Handlung mit der hörbaren Zeit so zusammenfallen läßt, daß sich die ohnehin durch ein Friedhofserlebnis schon unheimliche Stimmung zweier junger Mädchen noch verstärkt:

Und denke, Winterszeit, wenn alles in Schnee liegt und die Krähen auf

den Kreuzen sitzen, und dann um Mittag die zwölf Schläge ..

Und in diesem Augenblicke schlug die Mittagsglocke, von der Elisabeth

eben gesprochen hatte. Beide Mädchen fuhren zusammen. (U 55)

Die vorliegenden Bemerkungen über Fontanes ausgesprochen häufig verwen­dete Technik, durch Uhren- oder Glockenschlag den Moment ins Bewußtsein seiner Romangestalten dringen zu lassen, bilden einen, wenn auch bescheidenen Beitrag zum umfangreichen Thema der Zeitstrukturierung im realistischen Ro­man. Wenn Günter Müllers Einschätzung,Die literaturwissenschaftliche Auf­gabe jedoch ist vor der Hand schlichte Beobachtung feststellbarer Zeitvorkom­men und ihrer Bedeutung für das Werkgefüge', 6 noch heute eine Berechtigung beanspruchen kann, dann auch der vorliegende Versuch. Sein Charakter bringt es mit sich, daß das häufige Vorführen von Beispielen unvermeidlich ist. Das hier diskutierte Detail gehört als szenisches gewöhnlich der ausführlich ge­stalteten Episode an. Das zeitraffende Erzählen (So verging der Oktober, der November. Zur Weihnachtszeit erschien Herr Grünlich [. ..]') 7 hält sich beim zeitlich fixierten Augenblick und seinen Wirklichkeitspartikeln nicht auf.

Durch die Integration in den Wahrnehmungshorizont der handelnden Personen wird bei Fontane das Zeitmarkieren immer wieder zum Zeiterleben und damit zu einem Partikel von Persönlichkeit, Leben oder gesellschaftlicher Existenz der Romangestalten und wie so vieles andere in Fontanes Romanen Deutungs­medium für die Leser. Ex negativo ergibt sich das schon aus dem so bewußten Einsatz von Zeitlosigkeit, wie er den Anfang von IRRUNGEN, WIRRUNGEN auszeichnet, denn diehalb märchenhafte Stille' (I, W 8), die Lene Nimptsch in ihrer den gesellschaftlichen Regeln enthobenen Gartenwelt umgibt, findet ihr Äquivalent in der Abwesenheit meßbarer Zeit. Die Uhr auf demHolztürmchen" fehlt ganz, und das übriggebliebene Ziffernblatt isthalb weggebrochen' (I W 7) 8

II

Die einfachste Funktion, die das Vernehmbarmachen von Zeit bei Fontane hat, ist das Fixieren eines Zeitpunkts, das Leser und Beteiligten Beginn oder Schluß einer Handlungsphase ins Bewußtsein ruft. Diese abgrenzende Rolle läßt sich

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