Es ist an zwei dieser Beispiele aus VOR DEM STURM schon ersichtlich, daß die Zeitangabe die Pünktlichkeit einer Gestalt signalisiert, was bei Fontane in immer neuen Variationen geschieht. Daß sich dies ironisch sogar auf die Unzeitgemäßheit einer Institution beziehen kann; zeigt sich am Ende des 6. Kapitels von DER STECHLIN, als sich die Offiziere Rex, Czako und Stechlin, die schon im 3. Kapitel so pünktlich zum Diner erschienen sind, daß »die Uhr mit dem Hippenmann [...] gerade sieben (schlug)' (S 25), auf dem Weg ins Kloster Wutz zur altmodischen und engstirnigen Tante des dritten der jungen Männer befinden:
Das Gespräch kam nicht weiter, weil in eben diesem Augenblick mächtige Turmuhrschläge vom Städtchen Wutz herüberklangen. Man hielt an, und jeder zählte .Vier'. Kaum aber hatte die Uhr ausgeschlagen, so begann eine zweite und tat auch ihre vier Schläge.
»Das ist die Klosteruhr", sagte Czako.
»Warum?"
„Weil sie nachschlägt; alle Klosteruhren gehen nach. Natürlich. Aber wie dem auch sei, Freund Woldemar hat uns, glaub' ich, für vier Uhr angemeldet, und so werden wir uns eilen müssen." (DS 78)
Es ist dies keineswegs die einzige Stelle, an der Fontane die Statik des Stundenschlags durch das nacheinander erfolgende Erklingen mehrerer Uhren auflöst und dadurch eine intensivere Raum-, Geräusch- und Zeitwirkung, eine Verlebendigung der Szene, ein Erfüllen des Raums mit Glocken- oder Uhrenschlägen anstrebt.
Aber nicht nur Pünktlichkeit, auch Ungeduld kann durch einen Uhrenschlag angezeigt werden, wie bei Jenny Treibel, die, „ehe noch die kleine Konsoluhr die neunte Stunde schlug' (FJT 149), schon am Schreibtisch sitzt, um zur Vereitlung der Heiratspläne ihres ungehorsamen Sohns Hildegard aus Hamburg einzuladen. Wie im bloßen Schlagen der Stunde auch das Verpflichtende oder Gesellschaftliche der Zeit miteingefangen werden kann, zeigt sich an der Reaktion, die die hörbare Zeitverkündung so häufig bei den Beteiligten auslöst. Sie mahnt in GRAF PETÖFY die bürgerliche Franziska Franz an die Anstandspflicht, den ersten Besuch im kleinen Zirkel der Gräfin Gundolskirchen nicht zu überziehen: „Eine kleine Stutzuhr schlug eben zehn, und die junge Schauspiele - rin erhob sich." (GP 25) Sie erinnert in FRAU JENNY TREIBEL Wilibald Schmidt schmerzlich an den nonchalanten Umgang seiner Gäste mit seiner Einladung zum routinemäßigen Professorenabend: „Die Schmidtsche Wanduhr, noch ein Erbstück vom Großvater her, schlug bereits halb, halb neun, und noch war niemand da außer Etienne, [...)' (FJT 58) Diese Säumigkeit steht dann am Ende des Abends in peinlichem Gegensatz zur übergroßen Pünktlichkeit, mit der man aufbricht: „So kam elf heran, und mit dem Glockenschlag - ein Satz von Schmidt wurde mitten durchgeschnitten - erhob man sich [...J (FJT 74). In VOR DEM STURM erinnert die Zeit das Dienstmädchen an seine Pflicht („Es schlug sieben, und Maline erhob sich, um der Kranken ihre Medizin zu geben", VdS 2.125) und zwingt Renate, ihr Gespräch mit den Freundinnen
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