dem ein starkes Übergewicht der erzählenden über die erzählte Zeit herrscht. Man kann, ganz abgesehen von dem dadurch heraufbeschworenen untragbaren Buchumfang, aus Gründen mangelnder Spannung und Variation in einem Roman nicht drei Monate oder gar fünf Jahre Stunde um Stunde mitverfolgen. Es gibt denn auch in Fontanes Romanen insgesamt nur drei Szenen, in denen eine Handlungsphase so intensiv mit dem Bewußtsein des Zeitvergehens verbunden ist: das eben besprochene Wuthenow-Kapitel, die Mordszene in QUITT und die Befreiung Lewin von Vitzewitz' gegen Ende von VOR DEM STURM. Allen drei gemeinsam ist das stundenweise Vorrücken der vernehmbaren Zeit an einer, wenn nicht det entscheidenden Stelle der Handlung. Alle drei sind daher wohl auch als Höhepunkt von Fontanes Gestaltung der vernehmbaren Zeit anzusehen.
Es ist auffällig, daß es in den beiden noch nicht betrachteten Fällen wie im 14. Kapitel von SCHACH VON WUTHENOW in einer Abfolge von deutlich markierten Stunden um Leben und Tod geht und die hörbare Zeit zur inneren Erregung des Protagonisten und zur Spannung der Szene entscheidend beiträgt. Der Angelpunkt der Handlung in QUITT ist die Ermordung des Försters Opitz durch Lehnert Menz, der damit seinen Haß gegen diese Verkörperung preußischer Autorität und Gesinnung befriedigt, aber auch seine geliebte Heimat Schlesien verliert. Der Mord widersteht dem redlichen Lehnert; er ist ein Akt der Verzweiflung, geschieht im abendlichen Gebirge und ist - dies sei im Rückblick auf die Anfangsüberlegungen der vorliegenden Ausführungen erwähnt - von beunruhigenden Geräuschen begleitet (etwa: »(...] nur dann und wann hörte man das Klucken und Glucksen eines bergabschießenden Wasserlaufs oder eine einzelne Vogelstimme. Kein Schmettern oder Singen, nur etwas, das wie Klage klang.' (Q 75).
Die gut zwanzigseitige, drei Kapitel umfassende Episode nimmt chronologisch etwa vierzig Stunden ein und ist von einer Fülle von Zeitangaben durchzogen. Die eigentliche Mordphase wird durch die Erzählerstimme abgegrenzt: »[...] um die sechste Stunde (...] Es war jetzt um die siebte Stunde"; und nach der Tat: »Zehn war durch." (Q773, 75, 80) Die Angabe der dazwischenliegenden, den Mord beinhaltenden zwei Stunden aber erfahren die Leser auf andere Weise. Erst als der Ermordete etwa 36 Stunden nach der Tat gefunden wird, ergibt sich die Mordzeit aus dem Zettel, den man bei ihm findet: »Geschossen bin ich um die neunte Stunde." (Q 97) Die achte Stunde aber, also die letzte vor dem Mord, wird hörbar gemacht:
Kein Leben, kein Laut. Aber während Lehnert dieser Lautlosigkeit noch nachhorchte, klang plötzlich, durch die tiefe Stille hin, ein helles Läuten herauf,
»Das ist das Kapellchen unten. Das fängt an und läutet den Sonntag ein." Und wirklich, ehe noch eine Minute vergangen, fiel das ganze Tal mit all seinen Kirchen und Kapellchen ein, und wie im Wettstreit klangen die Glocken mächtig und melodisch bis auf den Koppengrat hinauf. (Q 78)
Wenn Lehnert sein Bedürfnis, die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Opitz und sich selbst als Gottesurteil zu begreifen, prüfen wollte, dann hätte er
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