Heft 
(1991) 51
Seite
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hier die Gelegenheit dazu. Sein Vorhaben wird ihm lautstark genug als Ver­stoß gegen den geheiligten Sonntagsfrieden, der nun beginnt, zu Gehör gebracht. Er aber überhört die Mahnung und fühlt sich daher nun auf Grund seines schlechten Gewissens von dem Läuten der kleinen Kapelle verfolgt.

Erst hört er, als er am nächsten Abend durchs Gebirge geht, mit Erschrecken dasselbe Läuten, das gestern [...] vom Tale her zu der Kammhöhe hinauf - aufgedrungen war' (Q 88), und gleich darauf den Hilferuf, der beweist, daß sein Feind noch 24 Stunden sterbend im Wald gelegen hat und immer noch lebt. Jahre später, als er selber schwerverwundet und ohne Hilfe in Amerika im Gebirge liegt, identifiziert er dann in seiner fieberhaften Phantasie ein Glocken­spiel mit dem Läuten beim Mord und schließt unter anderem daraus auf eine ausgleichende Gerechtigkeit auf der Welt: quitt.

Ebenfalls etwa zwanzig Seiten nehmen das 22. und das 23. Kapitel des vierten Teils von VOR DEM STURM ein, in denen Lewin von Vitzewitz' Gefangen­schaft und Befreiung geschildert werden. Dabei ranken sich die qualvollen Stunden erst der Erwartung des Todesurteils - gespeist von Fontanes gleicher eigener Erfahrung 1870 in französischer Kriegsgefangenschaft - und dann des Ausbruchs (das Horchen auf die Rettungsstunde fast so qualvoll (...) wie das Horchen auf den Tod', VdS 4.185) an einer Folge von Zeitangaben entlang. Das (Fontanesche) Gedicht, das Lewin dabei seelisch aufrichtet, artikuliert seine Lage - aber mit der Gewißheit des sicheren Trostes, die ihm noch fehlt.:Hoffe, harre; nicht vergebens/ Zählest du der Stunden Schlag,/ [...)' (VdS 4.182). Daß ihm sein Wächter einen Bericht über die Hinrichtung Leutnant von Kattes gibt, verstärkt seineTodesfurcht' (VdS 4.180); daß er von seiner eigenen Hochzeit träumt, deutet auf seine innere Zuversicht. Das Resultat seines Hangens zwi­schen Leben und Tod ist ein Bekenntnis zum Leben, das im Gebet Ausdruck sucht. Lewin läßt in seiner Rastlosigkeit immer wieder seine Taschenuhr repe tieren oder lauscht auf die Schläge derkleine(n) Schloßturmuhr' (VdS 4.178); er spürt das Vergehen der Zeit mit einer Intensität wie nie zuvor:

Und nun war Mittag vorüber und endlich auch der Nachmittag. Die Son­ne ging unter, das Abendrot erblaßte, und der Tag schwand hin. Nur noch sechs Stunden, bald nur noch fünf. Er zählte die Minuten.

Um sieben Uhr kam der alte Kastellan. (VdS 4.185)

[...]

Die Sterne zogen herauf, und er suchte die Bilder zusammen, soviel er deren kannte. Aber im Gewölk verschwanden sie wieder.Die Stunde rinnt auch durch den längsten Tag.' Und nun endlich schlug es elf.

Noch eine Stunde" murmelte er vor sich hin,und diese Qual hat ein Ende! So oder so." (VdS 4.186)

Die kleine Turmuhr, von der Schloßkirche her, schlug halb.' (VdS 4.189)

Gerade aber in der letzten Stunde verlagert Fontane die Szene zu den Vorbe­reitungen von Lewins Rettern, so daß im entscheidenden Augenblick um Mit­ternacht beide Handlungen sich sinngemäß vereinigen:

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