Heft 
(1991) 51
Seite
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»Alle sahen erwartungsvoll nach der Uhr. Noch fünf Minuten. In jedem Augenblick könnt' es oben auf dem Schloß zum Schlagen einsetzen.

Und jetzt schlug es wirklich. Lewin riß das Fenster auf, zählte bis zwölf, (VdS 4. 190 f.)

Alle hier vorgestellten, nur eine Auswahl des gesamten Materials bildenden Beispiele von hörbarer Zeit in Fontanes Romanen haben gemeinsam, daß in ihnen die szeneninterne Chronologie nicht Teil des vom Erzählers gesetzten und selbst berichteten Verständnisrahmens von Ort, Zeit und Personenensemble ist, sondern hineingenommen wird in den Erlebnishorizont der handelnden Personen und damit als Erfahrungs- und Erlebnisfaktor innerhalb der Romanwelt fun­giert. Statt im Bereich der Lesererfahrung mit dem Roman zu verbleiben, wird die Zeit als erlebte Zeit Teil des Selbstverständnisses bestimmter Romanfiguren. Der Erzähler tritt zurück und überläßt es seinen Gestalten, ihr Zeitbewußtsein selbst mitzuteilen. Das hier untersuchte Element der Zeitbehandlung bestätigt damit das bei Fontane auffällige Bemühen um Unmittelbarkeit und Perspek­tivenreichtum, durch die sich die gedeutete, eindimensionale Welt in eine Summe von individuell erlebten Welten auflöst.

Anmerkungen

1 Es handelt sich bei Fontane immer um die preußische Meile von etwa 7 km.

2 Die Romane Fontanes werden im Text mit den Anfangsbuchstaben der Titel z. B. EB = EFFI BRIEST) und der Seitenzahl nach der Ullstein Taschenbuch- ausgabe zitiert.

3 Örtlichkeit und Schauplatz in Fontanes Werken ist der Titel von Wolfgang Rosts Buch von 1931 (Berlin und Leipzig: de Gruyter).

4 Man denke etwa an Max Taus kritische Studie Der assoziative Faktor in der Landschafts- und Ortsdarstellung Theodor Fontanes (Diss. Kiel 1928) und Hubert Ohls Erwiderung in Bild und Wirklichkeit. Studien zur Romankunst Raubes und Fontanes. Heidelberg (Stiehm 1968).

5 Herman MeyerRaum und Zeit in Wilhelm Raabes Erzählkunst". In: H. M. Spiegelungen. Studien zur Literatur und Kunst. Tübingen: Niemeyer 1987, S. 27.

6 Günther Müller »Über das Zeitgerüst des Erzählens". In: Dt. Vjs. 1. Litwis. u. Geistesgesch. 24 (1950), S. 1-31, Zitat S. 5.

7 Thomas Mann BUDDENBROOKS, 3. Teil, 14. Kapitel.

8 Vgl. zu Zeit und Zeitlosigkeit in IRRUNGEN, WIRRUNGEN G. H. Hertling Theodor Fontanes IRRUNGEN, WIRRUNGEN: Die .erste Seite' als Schlüs­sel zum Werk. New York/Berne/Frankfurt: Lang 1985, S. 36-40 (= Germanic Studies in America 54).

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