Fontanes Aufsätze über Romanschriftsteller seiner Zeit, ob sie nun Freytag, Alexis oder Möllhausen hießen, waren immer auch Übungen für die eigene Romanpraxis. »Fontane, der Journalist, bereitet den Romancier vor.' 44 Er, der selbst nie in Amerika war, sich aber zeitweise mit Auswanderungsgedanken getragen hatte, mußte für die Schilderung des dortigen Schauplatzes auf literarische Quellen zurückgreifen. Diese werden jedoch nur in Andeutungen im Roman erwähnt. Über Lehnert Menz, seine Figur des aus Deutschland geflohenen Wilddiebes, schreibt er im Roman, dieser gleiche nach sechs Jahren in Amerika »halb einem Cooperschen Trapper und halb einem Bret Harte'schen Kalifornier aus den Diggins." 45 Cooper und Bret Harte werden von Fontane damit ausdrücklich als Ahnherren der Gattung seines Romans anerkannt; 46 Möllhausen dagegen, dessen Patenschaft offensichtlich war, blieb unerwähnt. Möglicherweise kannte Fontane die Abbildung Möllhausens als Trapper, die 1862 in der .Gartenlaube' abgebildet worden war 47 und hatte sie bei der zitierten Beschreibung vor seinem geistigen Auge.
Außer der Grundstruktur finden sich in Fontanes Roman einige weitere dünne Spuren, die sich als Hinweise auf Möllhausen lesen lassen. Lehnert nimmt ein Buch »Von Urwald und Prärie, von großen Seen und Einsamkeit' 48 zur Hand, das ihn für Amerika begeistert; so unspezifisch diese Bemerkung ist, man glaubt doch in dem .großen See' den Michigan-See aus dem Titel der von Fontane eingeleiteten Erzählungssammlung Möllhausens aufblitzen zu sehen. Fontane spricht von Lehnerts »Hang nach dem Abenteuerlichen', 49 der verantwortlich sei für dessen Flucht nach Amerika; über Möllhausen hatte er mit gleichen Worten geschrieben, »ein gewisser Hang, sich innerhalb einer großen Natur der eigenen Kraft und Freiheit voller bewußt zu werden', 50 habe diesen nach Nordamerika, getrieben. Fontane erwähnt mehrfach die Sekte der Mormonen, 51 die bei Möllhausen immer wieder erzählerisch thematisiert wird - in seinem erfolgreichsten Roman »Das Mormonenmädchen' (1864) sogar im Titel - und er erwähnt mehrfach Prinz Friedrich Karl, in dessen Jagdhaus sich beide Autoren begegneten. 52
Für beide Autoren spielt schließlich der Motivkomplex ,Böse Tat und Gewissen', -Reue und Sühne' eine wesentliche Rolle. Immer wieder ist das schlechte Gewissen bei Möllhausen Motor einer Sühnehandlung, die per Geheimnisschema inszeniert wird. In Fontanes Roman ist dieses Motiv zentral angelegt und im Titel verankert. Lehnert Menz, der 1877 im Riesengebirge den Förster Opitz erschossen hatte, plagte noch nach Jahren sein Gewissen. In der Mennoniten- Kolonie Nogat-Ehre im Indianer-Territorium sucht er vergeblich Ruhe. Am Ende sühnt er seine frühere böse Tat durch eine neue Tat der Liebe und hofft, dadurch entschuldigt zu sein. Sein letztes Wort, das er mit dem eigenen Blut auf e inen Zettel gekritzelt hat, gibt den Titel des Romans ab: »Und vergib uns unsere Schuld [...) Ich hoffe: Quitt.' 53 Diese Lösung für Lehnert Menz unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den .Bekehrungsgeschichten' Möllhausens: Lehnert sühnt sprichwörtlich mit dem eigenen Blut, während viele Gestalten bei Möllhausen zwar ihre Schuld ebenso lange und länger als eine bedrückende Last mit sich herumtragen, doch gelingt es ihnen meist am Ende,
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