Heft 
(1991) 52
Seite
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führt, muß und will sich dergereifte" Dichter statt mit der angestrebten Qualität mit der fleißig verfertigten Quantität begnügen. Verfolgt wurden anfangs ideelle, geistige Ziele, erreicht werden materielle und gesellschaft­liche: eine gesellschaftliche Anerkennung von zweifelhafter Dauer und Gül­tigkeit . 18 Der hoffnungsvolle Dichterjüngling hat sich im Laufe seiner Karriere durch die Stoffe und verfälschten Ideale seiner literarischen Produktion in ein geistiges Obrigkeitsverhältnis " 19 hineinbegeben. Wenn K. Richter, bezogen auf den autobiographischen Gehalt des Gedichtes Lebenswege, feststellt, daß dieAbsage an die Poesie [...] geradezu als Bedingung des gesellschaftlichen Aufstiegs und Erfolgs" erscheint ,'- 10 so gilt das in zugespitzter Form auch hier. Die Poesie verhalf dem Dichter zwar zum gesellschaftlichen Aufstieg, aber nur um den Preis des Abstiegs von den ursprünglich mit ihr verknüpften Idea­len und Ansprüchen. In der öffentlichen Ehrung und Anerkennung glaubt er den höchsten Erfolg erreicht zu haben, obgleich er dafür seine eigentliche Substanz in der gesellschaftlichen Konformität und der Breite der literarischen Masse aufgegeben hat.

Balthasar tröstet sich nach seinen unerquicklichen Erfahrungen mit Minister und Auftragsdichtung damit, daß zwar wieder eine Illusionhin" ist, die Ideale aber bleiben, 21 , wenn auch nur in Gestalt einerBeschäftigung, die nie ermattet", wie er mit Schiller formuliert . 22 Für den Königsdichter gelten die umgekehrten Vorzeichen - die Ideale sind hin, die Illusionen bleiben. Hätte Fontane es ihm gestattet, kritisch und aufrichtig über seine Situation nach­zudenken, hätte er wohl auch ihn aus Schillers Gedicht zitieren lassen, aller­dings eher eine andere Strophe . 23

Wenn Fontanes Dichter aus den Höhenregionen seiner geistigen Vorfahren bereits herabgestiegen ist, den idealisierten erhöhten Aufenthaltsort des Poe­ten mit den sehr materiell und prosaisch verstandenen vermeintlichenHö­hen der Menschheit" vertauscht und auch Fontane selbst auf die Rhetorik und Metaphorik der hohen Stilebene, die für Dichtergedichte sonst kenn­zeichnend ist, nicht nur verzichtet, sondern ihr bewußt entgegenwirkt , 24 so bedeutet dies eine dezidierte Distanzierung von der Tradition (und Epigo- nalität) vieler Dichtergedichte und der von ihnen präsentierten Konzeption, die die erheblichen Differenzen zwischenDichtergedicht, lyrischer Produk­tion, Selbstverständnis und biographischer Realität " 25 ignorieren, ja leugnen muß, um nicht sich selbst offen in Frage zu stellen. Diese Gegenposition er­weist sich in der Einschätzung des Gegenstandes wie in seiner formalen und sprachlichen Gestaltung, eine Gestaltung, die jedoch ihrerseits durchaus als Anknüpfung gelesen und verstanden sein will, zeigen doch die betonte Un­feierlichkeit, Ironie undkritischer Lakonismus" des späten Fontane deut­liche Spuren seiner Heine-Rezeption . 20

An die Stelle dersteife [n], konventionelle [nj Feierlichkeit " 27 der metri­schen Form tritt in FontanesDichtergedicht" das bewegliche und variabel gefüllte Versmaß des Endecasillabo und die Schweifreimstrophe. Der dekla­matorische Charakter mit seinemidealistischen, anspruchsvollen Wort­schatz "28 wi rd nur in der ersten Strophe dem Dichteraspiranten zugeordnet. 21