Heft 
(1991) 52
Seite
22
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was gemeinsam mit dem oft ironischen Kontrast, den die Refrainzeile zur Aussage der Strophen und ihrem durchaus unprätentiösen Tonfall bildet, das Prätentiöse dieser Zielsetzung entlarvt. Die Topoi wie die gedanklichen Hin­tergründe des Dichtergedichtes werden der Ironie preisgegeben; das Bild des hehren Dichterkönigs wird dispensiert, der Schriftsteller ebenso unpathetisch wie energisch auf den Boden der preußischen Tatsachen gestellt. Fontanes »Dichtergedicht', wenn man es denn noch so nennen darf, entpuppt sich als traditions- und gesellschaftskritische Travestie, so daß von einer nahezu unge­brochenen Kontinuität, wie sie Schlaffer für den "speziellen Traditionalismus" des Dichtergedichts bis in das 20. Jahrhundert hinein behauptet, nicht die Rede sein kann. 29

Zwar steht die Figur des Dichters im Mittelpunkt der ironischen Darstellung, doch darf man die im Gedicht implizierte Position des zeitgenössischen Pu­blikums nicht übersehen, die jene Art der Karriere überhaupt erst ermög­lichte. Die mit diesem Gedicht bezogene Gegenposition liegt wohl nicht so sehr darin begründet, daß sich die Stellung des Schriftstellers kontinuierlich und objektiv verschlechtert hätte, sondern vor allem in der aus der eigenen Einschätzung und Erfahrung heraus als dringlich empfundenen Notwendig­keit, die verlogene und verleugnete Diskrepanz zwischen Idealität und Rea­lität aufzudecken und zum Gegenstand kritischer Auseinandersetzung zu machen. Dieses zwiespältige und inkonsequente Bild des Publikums von »sei­nem" Dichter und die daraus resultierende gesellschaftliche (Nicht-)Einord­nung reflektierten bereits Struktur und Aussage des zwischen 1885 und 1888 entstandenen GedichtesRückblick" 30 :

(...]

Du dichtest, das ist das Wichtigste ..."

Du dichtest, das ist das Nichtigste."

Wenn Dichtung uns nicht zum Himmel trüge.. .

Phantastereien, Unsinn, Lüge."

Göttlicher Funke, Prometheusfeuer ...'

Zirpende Grille, leere Scheuer."

[...]

Den fast zögernd vorgebrachten positiven Bestimmungen dichterischer Auf­gaben - deutliche Anklänge an die tradierten Formeln - werden mit energi­scher Bestimmtheit die prosaisch desillusionierenden Urteile des zeitgenössi­schen Bürgers entgegengehalten, der Dichtung und Dichter so lange schätzt, wie sie im Reservat der reinen Poesie verbleiben, jedoch konsterniert reagiert, wenn der Dichter sich als Schriftsteller 31 und damit als Teil dieser Gesellschaft bemerkbar macht und Ansprüche erhebt. 32 Die »furchtbar malitiöse' und »an­zügliche' 33 Variation dieses Themas inDer echte Dichter (wie man ihn früher sich dachte)"­ 3 4 zielt nur an der Oberfläche auf denschmuddligen und unerzo genen', verlogenen Dichter, wird doch dieser .Prototyp' durch die Brille des Publikums gesehen, dessen Vorurteile ihm diese Eigenschaften zuschreiben, wodurch das Publikum selbst zum Ziel der Verspottung wird. Das Gedicht, 22