Heft 
(1991) 52
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angelegt als Zitat einer weit verbreiteten öffentlichen Meinung, hält dem so selbstsicher festlegenden bürgerlichen Publikum den Spiegel der eigenen In­konsistenz vor. Der »echte" Dichter hat, bitte sehr, in seinem angestammten Refugium zu logieren: » Eines echten Dichters eigenste Welt / Ist der Himmel - und das Zigeuner zeit". Die konträre Lokalisierung des angemessenen Platzes für den Dichter kennzeichnet die Ambivalenz der ihm gegenüber eingenom­menen Haltung: die überirdische, dem gewöhnlichen Sterblichen unerreich­bare Region des Himmels und das Zigeunerzelt als Unterschlupf des Unbehau- sten, des gesellschaftlichen Außenseiters. Sobald er nämlich mit den Anzeichen bürgerlicher Wohlanständigkeit und Regelmäßigkeit - gekämmt und ge­waschen, schuldenfrei, mit regelmäßigem Einkommen, gar mit einem Orden am Frack - in Erscheinung tritt, wird er zur suspekten Figur,so ist er gar kein Dichter mehr". Die zeitliche Distanzierung im Untertitel ist nur eine scheinbare, besteht doch das »Früher" imJetzt" unverändert und unvermin­dert weiter.

Wie sehr diese Anschauungen auch Fontane selbst betreffen und verstimmen, lassen nicht nur die hier angeführten Gedichte, sondern auch mehrere brief­liche Äußerungen erkennen. Mit einer verärgerten Einschätzung der Situation, die deutlich den Hintergrund der wenig später entstehenden Gedichte erhellt, kommentiert Fontane im April 1890 die Verleihung des Kronenordens 4. Klasse an Ludwig Pietsch. 35

Ich habe mich drüber geärgert und dabei wieder so recht das Dürftige dieser Quincaillerie empfunden. Es ist nicht nöthig, daß ein Schriftsteller oder Journalist einen Orden kriegt, wenn der Betreffende aber ein so großes Genie ist, so vielen Millionen Menschen im Laufe von 30 Jah­ren Freude, Genuß, Belehrung verschafft hat, so muß man ihn durch 'was Besseres' auszuzeichnen wissen. ... Es ist charakteristisch für die Stellung, die die Literatur bei uns einnimmt. Und dabei ist derStaat noch nicht der schlimmste, das Volk denkt noch geringer darüber, ein Schriftsteller ist ein Schmierarius, ein käuflicher Lügenbold, eine verächtliche oder lächerliche Figur. Nun, es schadet nicht viel, man fällt davon nicht todt um.

Trotz der resigniert einlenkenden Schlußwendung ist die persönliche Be­troffenheit und Erbitterung unverkennbar, hatte doch Fontane seit 1867, da man ihm selbst den Kronenorden 4. Klasse verliehen hatte, in hinrei­chendem Maße entsprechende Erfahrungen sammeln müssen. 36 Ein für die keineswegs reibungslosen Beziehungen zwischen Autor und Rezipienten cha­rakteristisches Phänomen, das uns bereits aus der Balthasar-Novelle bekannt ist - die relative Geringschätzung der Literatur im Vergleich zur Bildenden Kunst - skizziert Fontane im Juni 1890 auf bezeichnende Weise. In einem Brief an seinen Sohn Friedrich schreibt er aus Bad Kissingen: 37

In das hiesige Berühmtheitenbuch habe ich mich vor ein paar Tagen einschreiben müssen, erst Menzel mit einem Bild, dann ich mit einem Vers auf Kissingen. Das Menzelbild taxiere ich auf 500 Mk., meinen

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