Heft 
(1991) 52
Seite
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Augenblick ihres kühnen Unternehmens gewillt ist, alle Minen springen" (155) zu lassen. Denn daß sie, nachdem sie sich erst einmalim Schutze einer Hasel­nußhecke" (also außer Sichtweite der mißtrauischen Jenny) mit Leopold verlobt hat, auf jede weitere Initiative verzichtet und trotz ihrer angeborenen Hart­näckigkeit in stummer Passivität versinkt, ohne auch nur den geringsten Ver­such zu unternehmen, Leopold zu neuem Tun zu verführen, bleibt erstaunlich. Echte Gegenspielerin Jennys ist sie jedenfalls nur für sehr kurze Zeit.

Und Professor Willibald Schmidt? Er gilt überall als der eigentliche Antipode Jennys. Den frühen Empfindungen seines Herzens ist jenes verhängnisvolle Lied entsprungen, das Jenny zu ihrem Schicksalslied gemacht hat. Fontane hat hier ein paar epigonale Verse geschrieben, die von Jenny als echte Herzensergießung eines Liebenden (Wilibald, einziger, das kommt von Gott) (170) verstanden werden. Fontane hat Schmidt jedoch nicht nur dieses Lied vermacht, sondern so viel von seinem eigenen Wesen mitgegeben, daß die Forschung bis in unsere Tage glaubt, an ihm Züge des alten Fontane sehen zu können, obwohl man das seit Dieter Kafitz' Aufsatz: Die Kritik am Bildungsbürgertum in Fontanes Roman ,Frau Jenny Treibel' (Zeitschrift für deutsche Philologie, Band 92, Son­derheft, 1973, S. 74 ff) nur noch in sehr eingeschränktem Sinne sagen kann. Und wo es darum gehen sollte, daß die Familie ihren Willen gegen die Familie Treibel durchsetzt, verfallen Vater und Tochter in die gleiche Passivität. In der Auseinandersetzung mit Jenny überläßt Schmidt alles einergewissen ruhigen historischen Entwicklung (141). Er enthält sich jeder Einmischung und beweist im Hinblick auf Jennys Charakter eine ironisch-superiore Menschenkenntnis. Er agiert nicht gegen Jenny und nicht für oder gegen Corinna. Er glaubt zu wissen, was geschehen wird - und behält recht.

Die beiden Bewerber um Corinnas Herz aber verschwinden von der Komödien­bühne, der eine, um seine Liebesgefühle in immer neuen Versicherungen seiner Festigkeit brieflich zu beteuern, während er sich in Wirklichkeit vor seiner Mutter fürchtet und Corinna noch nicht einmal heimlich zu sehen wagt, und der andere, Marcell, weil er in seinem Stolz getroffen ist und eine Abfuhr hinnimmt, wo er vielleicht kämpfen sollte.

Bliebe der alte Kommerzienrat Treibel selber, der das Ridiküle am Empfinden und Handeln seiner Frau durchaus begreift und anfangs bestrebt ist, ihr zu einer gewissen Selbsterkenntnis zu verhelfen. Nachdem er sich aber schließlich in einem Selbstgespräch zu dem Satz durchgerungen hat, der in keiner Inter­pretation fehlt:Wenn sie am Ende doch recht hätte!" (132) und sich dadurch decouvriert, bleibt Jenny als einzige aktiv; und ihre hektische Aktivität führt denn auch zum Erfolg.

Das schließt nicht aus, daß der Leser, wenn er mit zureichender Unvoreingenom­menheit nach den Sympathieträgern im Roman fragt, Schmidt und mit ihm Treibel in einem Atemzug nennen und in den Mittelpunkt stellen wird. Ihr Causeurtum und die Herzensgüte, die Treibel ausdrücklich zugesprochen wird und die man bei Schmidt unschwer, wenn auch unvollkommen ausgebildet, er­kennen kann, machen sie zu Geistesverwandten des Dichters. Nur darf man

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