Heft 
(1991) 52
Seite
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dabei mit den Abstrichen nicht zu sparsam sein. Nicht hinter jedem Causeur im Werke des Diditers sollte man ein Selbstporträt vermuten. Vielleicht darf man sogar annehmen, daß Fontane am Ende des Romans das Gefühl hatte, er könne Schmidt zu viel von der eigenen Menschlichkeit mitgegeben, ihn zu gut ausgestattet haben. Das würde erklären, warum er auf den letzten Seiten so gründlich mit der von ihm vermutlich nicht gewollten Vorstellung von der Geistesverwandtschaft des Professors mit der eigenen Person aufräumt. Der vor sich hinweimernde Schmidt, der den zweideutigen Anekdoten seiner Brüder (!) Treibel und Krola lauscht und in seinem sentimentalen Gedicht nun plötzlich doch etwas wahrhaft Poetisches erkennen will, bei dem er hätte bleiben sollen, ist eine fragwürdige Gestalt. (Hugo Aust hat in seinem Aufsatz: Anstößige Versöhnung? Zum Begriff der Versöhnung in Fontanes ,Frau Jenny Treibel' (Zeitschrift für deutsche Philologie, Band 92, Sonderheft, 1973) diese Vorgänge so eindringlich interpretiert, daß diese Bemerkungen hier nur marginalen Cha­rakter haben.)

Welche Rolle spielt nun in dieser Figurenkonstellation die Schmolke? Dient sie nur dazu, dem Roman Lokalkolorit zu geben? Hat Fontane sie nur eingeführt, um aufs neue seine Meisterschaft bei der Gestaltung von Berliner Typen zu beweisen? Oder dachte er an seine Leser und wollte, daß auch jene sich an­gezogen fühlen sollten, die sich am ehesten mit einer solchen Frau aus dem Volk identifizieren konnten? Richtig ist, daß die Schmolke die Sympathie des Lesers von ihrem ersten Auftreten an gewinnt, und es dient nicht zu Corinnas Ruhm, daß sie die Schmolke gelegentlich spöttisch behandelt. Was andererseits nicht heißen soll, daß die Schmolke keinerlei lächerliche Züge trüge. Schon die Tatsache, daß sie sich in allen ihr wichtigen Fragen auf ihren verstorbenen Mann beruft, als ob sie nicht den Mut zu einer eigenen Meinung besäße, läßt sie in komischem Licht erscheinen. Wer also ist die Schmolke?

Ihr selbstbewußtes Auftreten überrascht von Anfang an. Wenn der Dichter von einer ramassierten Frau spricht (8), so ist dieses bei ihm so unübliche Wort schon ein erster vorsichtiger Hinweis auf ihre Energie und Vitalität. Viel davon offenbart sie bereits in der ersten Szene. Der Bimmelton der Türglocke veran­laßt sie, zur Tür zu kommen. Daß die Glocke beim ersten Zug nicht läutet, mag aufschlußreich für das ganze Haus Schmidt sein. Eine weltoffene, besucher- freundliche Einstellung wird man darin jedenfalls nicht erkennen. In der Tat lebt der Professor in der Welt der Antike und läßt sich ungern stören, während Corinna ihren Vergnügungen außerhalb des Hauses nachgeht. Die Schmolke, die sich dadurch manchen Weg zur Tür spart, zieht natürlich besonderen Vor­teil aus dem Defekt. Doch eine Jenny Treibel läßt sich davon nicht abschrecken. Auch merkt sie sofort, daß sie durch das Guckloch in der Tür beobachtet wird. Die Schmolke weiß, wer die Besucherin ist, und man sollte annehmen, daß sie mit der angemessenen Dezenz verführe, wenn sie die Tür öffnet. Das Gegenteil geschieht: der Türriegel wird ziemlich geräuschvoll zurückgeschoben, und die Schmolke erscheint mit einem ansehnlichen Haubenbau auf ihrem vom Herd- teuer getöteten Gesicht. (8) Zwei Welten treffen aufeinander: einerseits die vornehme Dame (über deren höchst kleinbürgerliche Herkunft der Leser aller-

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