Heft 
(1991) 52
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dings schon unterrichtet wurde), sorgfältig gekleidet, etwas korpulent, zudem asthmatisch und vom Treppensteigen echauffiert, doch mit klarem Überblick über die Lage: » Also kleine Wäsche" (7), andererseits die Schmolke, am Herd gestört, unzugänglich, abweisend. Sie hat das gute Gewissen einer Frau, die von einer anscheinend müßig gehenden Besucherin bei der Arbeit unterbrochen wird. Dieses Bewußtsein schafft Selbstvertrauen, und dieses setzt sich um in Lärm und Vertraulichkeit. Sie begrüßt den Gast ohne Scheu und Befangenheit, ja, sie spielt förmlich eine Szene mit ihr:Ach, Frau Treibel' (8). Das »Ach" ist eine Unverfrorenheit. Es soll Überraschung ausdrücken, das lärmige Auftre­ten entschuldigen, so als sei das Guckloch immer geschlossen geblieben und als ob sie nicht wüßte, wer vor ihrer Türe steht. Dann folgt ein spontanes » Frau Treibel", als träfen sich zwei alte Bekannte, die über Jahre hinweg trauten Umgang pflogen. Die Schmolke spricht wie von gleich zu gleich, und als sie diese erste Einschätzung ihrer Besucherin sowohl als auch der eigenen Person wie aus einer Überraschung heraus ausgesprochen hat, scheint sie sich auf die wirklichen Verhältnisse zu besinnen und fügt, als ob sie sich nun des Un­gehörigen der ersten Anrede bewußt würde, das " Frau Kommerzienrätin " hin zu. Jetzt wird erkennbar, daß sie die Besonderheit der Situation sehr wohl be­greift, und sie läßt nach kurzer Pause vernehmen:,W elche Ehre'". Wenn diese höchste Staffel so langsam erklommen wird, ahnt man viele Vorbehalte. Jenny Treibel ist zu welterfahren, als daß sie sich eine Verstimmung anmerken ließe, und es muß dahingestellt bleiben, ob sie von dem Prozeß der inneren Über­windung überhaupt etwas bemerkt hat oder ob ihr die Zwischentöne der Schmolke nicht völlig gleichgültig sind. Auch ist ihr der Ärger mit den Dienst­boten längst zur Gewohnheit geworden. Warum sollte sie sich hier über Ge­bühr engagieren? Und so vergilt sie nicht Gleiches mit Gleichem, indem sie, wie es so häufig in dem Roman geschieht, der Schmolke die Anrede ,Frau' vor­enthält, sondern sie begrüßt sie ganz in der herkömmlichen Form:Guten Tag, liebe Frau Schmolke.'" (8) Sie überfällt sie aber auch sogleich mit einer Reihe von Fragen, von denen eigentlich nur die letzte eine Antwort verlangt: Ist das Fräulein zu Hause?" (8) Die Schmolke hat sich mittlerweile voll in ihre Rolle zurückgefunden:Ja, Frau Kommerzienrätin. Eben wieder nach Hause gekommen aus der Philharmonie.'" Und sie setzt verbindlich und wahr­heitsgemäß (wie wenig ihr diese Wahrheit auch gefallen mag) hinzu:Wie wird sie sich treuen.'"

Dieses erste Auftreten der Schmolke könnte zu der Annahme verleiten, sie neige dazu, die ihr als Wirtschafterin gesetzten Grenzen zu überschreiten. Ganz ab­wegig ist dieser Gedanke auch nicht. Sie ist zwar immer wieder darum be­müht, vor sich selbst und den anderen die gegebene Rangordnung festzuhal­ten und zu betonen, daß sie ja nur die Wirtschaft führe und » bloß eine Diene­rin" sei (117), und sie zögert auch nicht, die Schmidts ihre Herrschaft zu nennen (114), aber so ganz reiner Ernst ist es ihr damit nicht. Vor allem deshalb, weil Schmidt, humaner Mann, der er ist, sie ohne Einschränkung als Mensch re­spektiert, so daß Corinna ausdrücklich zu ihr sagen kann:Ein Glück, daß Papa das nicht hört. Sie wissen, das kann er nicht leiden, daß Sie so von Dienerin

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