Heft 
(1991) 52
Seite
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und Gewöhnliche hinaushebt. Die Schmolke empfängt Corinna in sonntäglichem Putz und tritt somit schon äußerlich aus der Rolle einer bloßen Dienerin heraus. Diese scheinbare Äußerlichkeit gibt ihr ein waches Gefühl ihres eigenen Werts. So wie Leopold, von der Partie nach Halensee zurückkommend, eine Unter­redung mit seiner Mutter sucht, um sie von seiner Verlobung zu unterrichten und ihre Zustimmung zu erbitten, so, in völliger Parallelität, sucht Corinna die Unterhaltung mit der Schmolke, um sie zu informieren. Während sie ihrem Vater ausweicht unter dem Vorwand, sie fühle sich krank, drängt sie auf die Plauderei mit der Schmolke:Aber mit Ihnen, meine liebe, gute Schmolke, möchte ich wohl noch eine halbe Stunde plaudern. Sie haben ja immer so was Herzliches...'" (116) Damit bekundet sie deutlich, was sie an ihrem Vater vermißt. In seiner aufschlußreichen Interpretation von Frau Jenny Treibel schreibt Hugo Aust: »Wenn der moralische Maßstab des Erzählers darin liegen sollte, inwieweit die einzelnen Figuren der Forderung des Liedes ge­recht werden (gemeint ist: »Ach, nur das, nur das ist Leben; / Wo sich Herz zum Herzen fin d't. G. F.) dann gibt es kaum einen Unterschied zwischen all den Gestalten, mögen sie aus dem Hause Treibel oder aus dem Hause Schmidt kommen.' (a. a. O., S. 118) So richtig das ist, die Schmolke wird da­von nicht mit betroffen. Sie gehört zwar zum Hause Schmidt, aber sie ist ohne Zweifel die einzige, die von ihrem Herzen her lebt, die das Angekränkeltsein des Bürgertums nicht kennt. (Vielleicht ließe sich auch einzelnes zugunsten Marcells ins Feld führen, aber außer seinem Familiennamen hat ihm Fontane nichts wirklich Charaktervolles mitgegeben. Er bleibt am Ende ein Lücken­büßer, zu dem sich Ccrinna schließlich in Ermangelung eines Besseren bekennt: ihm dabei versichernd, daß sie keineswegs glücklich sei. Freundlich mildernd versucht sie ihren Zustand zu verallgemeinern:Aber wer ist glücklich? Kennst du wen? Ich nicht.'" (160) Kühler kann man eine Verlobung kaum eingehen.) In ihrer Bescheidenheit will die Schmolke zwar zunächst Corinnas Bemerkung: .Sie haben ja immer so was Herzliches'" zurückweisen, aber sie besinnt sich doch rasch eines Besseren. Ganz zu Recht sagt Corinna von ihr, sie habe i m - m e r etwas Herzliches gehabt. Diese Herzlichkeit ist also nicht auf Sonn- und Feiertage eingeschränkt, sondern gehört zu ihrem Wesen.Wovon soll ich denn was Herzliches nich haben?'" (116) fragt sie und denkt an ihre lange An­wesenheit im Hause und wie klein Corinna damals noch war, als sie zu ihr kam. Sie war für Corinna eine Art Mutter (nicht etwa eine » mütterliche Freun­din" (8), wie das Jenny etwas aufdringlich für sich in Anspruch nimmt), wobei nur auffällt, daß im ganzen Roman kein einziges Wort über die Ehe Schmidts fällt, über deren Anfang, Verlauf und Ende der Leser völlig im unklaren bleibt. (Inzwischen hat Peter Wruck in seiner neue Aspekte erschließenden Interpreta­tion diesen Tatbestand ins rechte Licht gerückt. Peter Wruck: Frau Jenny Trei­bel / Interpretationen / Fontanes Novellen und Romane, Stuttgart, 1991, S. 212) Wollte Fontane seine Frau nicht porträtieren, und hat er dafür die Schmolke an ihren Platz geschoben? Oder wollte er den Roman kompakt halten und Aus­uferungen vermeiden? 34