Heft 
(1991) 52
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daß im Roman das Thema Polizei und Sittlichkeit schon einmal eine Rolle gespielt hat. Im Gespräch Treibels mit dem Polizeiassessor Goldammer geht es u. a. um die Frage, ob dieFriedrichstraße sittlich gereinigt" wird. (39) Eine Straße, die Treibel zweideutig "unsre pikanteste Verkehrsader nennt. Damit ist das .Revier' Schmolkes angesprochen. Goldammer geht zwar darauf nicht ein, sondern berichtet von einer Soubrette als neuester gesellschaftlicher Sensation, die um so mehr Interesse auf sich zieht, als ihr Protektor der Obersphäre der Gesellschaft angehört, aber das ganze Gespräch dient nur dazu, das Skandal­trächtigste aus dem Polizeibereich geschwätzig aufzubereiten. Auf welchen Wi­derhall Goldammer dabei stößt, wird an der Geschwindigkeit erkennbar, mit der Treibeils Sohn Otto zum Herrenzimmer strebt,e "weil er von langer Zeit her di der Erotik zugewendeten Wege kannte, die Goldammer, bei Likör und Zigar­ren, regelmäßig und meist sehr rasch, so daß jede Versäumnis sich strafte, zu wandeln pflegte." (39) Da findet sich kein menschliches Empfinden, da ist nur die etwas schlüpfrige Freude an einer Mitwisserschaft, die ins Anstößige hin­überreicht. Wie mitfühlend spricht demgegenüber Schmolke. Treibel ist ganz der Anonymität der Friedrichstraße zugewendet, die, falls .gereinigt', "um ein Ge­ringes moralischer und um ein Beträchtliches langweiliger" werden wird. (39) Schmolke ist ganz am Jammer von manchem "armen Wurm", der "mitunter sehr merkwürdig dazu gekommen" (119) ist, orientiert. Eine moralische Ver­urteilung nimmt zwar niemand vor, aber Schmolkes persönliche Betroffenheit reicht weit über die amüsierte NeuSgier der Herrengesellschaft hinaus.

Nochmals: dies alles erfährt Corinna vor ihrem Verlobungsbericht, nachdem sie die Schmolke bedrängt hat, von dem Verstorbenen zu reden, weil sie ihn einen fastzu anständigen" Mann (115) genannt hat. Mit der Schmolke ver­weist Fontane auf eine Welt, die nicht vom Vorteil regiert wird, in der es nicht um die Ausschöpfung aller Genußmöglichkeiten geht, sondern in der Anstand und gute Sitte bestimmend sind. Vor dieser Welt der unbedingten Rechtlichkeit, der Ehrbarkeit und Uneigennützigkeit, aber auch des Mitgefühls und des Ver­ständnisses hat sich Corinnas Verlobung auszuweisen. Sie schneidet dabei schlecht ab. Sie hat auf überlegene Weise für sich selbst gesorgt; und Leopold Treibel, wie dessen Mutter ganz richtig erkennt, ist ihr Opfer gewesen. Es kann keine Rede davon sein, daß sie ihn liebe. Sie hat sich in ganz rigoros­eigennütziger Weise ihrer Klugheit bedient und den schwachen Jungen dazu verführt, seine Furcht vor seiner Mutter zu überwinden, also weit über die ihm von der Natur gesetzten Grenzen hinauszugehen und sich mit ihr zu verloben.

Und wenn sie ihr Vorgehen im Gespräch mit Jenny auch zu verteidigen sucht, so weiß sie doch letzten Endes, wie moralisch fragwürdig ihr Verhalten war, denn als ihre Hoffnungen, daß Leopold sich vielleicht doch als Mann bewäh­ren könnte, sich als eitel erweisen, da räumt sie ein:,Und mit meiner Ein­bildung, ihn zum Helden umschaffen zu können, ist es auch vorbei. Die Nieder­lagen und Demütigungen werden nun wohl ihren Anfang nehmen. Verdient? Ich fürchte.'" (148) All ihr Tun fußte auf Berechnung (146), und so ist der Konflikt, den sie heraufbeschworen hat, nicht ein Konflikt zwischen der Unbedingtheit des Gefühls und einem verabscheuenswerten Besitzdenken, nicht ein Konflikt zwi-

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