ängstigt mich.'" Noch kann die Schmolke nicht wissen, daß sie den Nagel auf den Kopf getroffen hat, denn mit ihrem Verhalten gegenüber Leopold hat Corinna in der Tat eine .Maulschelle' verdient, und vermutlich erschrickt sie deshalb bei der Bemerkung der Schmolke (Die moralischen Maulschellen bleiben ihr ja auch nicht erspart.) Erheiternd ist, daß die Schmolke und Jenny Treibel auf die Verlobungsnachricht fast gleich reagieren. Die Schmolke „ vertiert" sich (übrigens noch ehe sie weiß, wer der Auserkorene ist), und Jenny überkommt eine jener vom Bewußtsein gesteuerten Ohnmächten, die dem Betroffenen die volle Übersicht über sein Tun belassen. Während sich Jenny aber vom ersten Augenblick an treu bleibt und keine Sekunde daran zweifelt, daß aus dieser Verlobung nichts werden darf, gibt die Schmolke zunächst das Steuer aus der Hand. Obwohl sie vom Unsinn dieser Verbindung durchdrungen ist, bestärkt sie Corinna doch in deren Haltung. Sie ist bereit, sich mit dem Gegebenen abzufinden. Ihr Motiv dafür, den Dingen ihren Lauf zu lassen, ist nicht ihre Liebe zu Corinna, sondern allein ihre Abneigung gegen Jenny. Sie hat nichts gegen die Treibels: „die sind alle gut un sehr proppre Leute'" (121). Nur Leopold erscheint ihr ein wenig „ spitz", so daß nur die Erinnerung an einen Satz Schmolkes {„.Höre, Rosalie, das laß gut sein, s o was täuscht, da kann man sich irren; die Dünnen un die so schwach aussehn, die sind oft gar nich so schwach'") (121 f) sie von ihren Bedenken befreit, Leopold könne gerade als Ehemann das Glück Corinnas nicht garantieren. Aber Jenny ist ihr ganz und gar zuwider. Sie traut ihr keine echte Gemütsbewegung zu; sie sieht vielmehr ihr ganzes Verhalten bestimmt von Heuchelei. Wenn sich aber Corinna entschlossen zu Leopold bekennt, denn „,ich habe sein Wort, und das andere muß sich linden.'“ (123), so nimmt sie, angesichts der günstigen Ausgangslage für Corinna einerseits und in Verkennung der Schwäche Leopolds und der Stärke der Kom- merzienrätin andererseits, Corinnas Partei. Ihre Abneigung gegen Jenny äußert sich in rigorosen Sätzen: „Un da du nu mal den Treibelschen hast, na, so hast dun, un da hilftkein Prätzelbacken, un er muß still halten und die Alte auch. Ja, die Alte erst recht. Der gönn’ ich’s.'" (123) In diesen Sätzen lehnt sich die Schmolke auf gegen den Anspruch Jennys, über ihre Umgebung zu bestimmen und den einzelnen vorzuschreiben, welche Gefühle gestattet sind und welche nicht, wobei die gegebenen Vermögensverhältnisse die selbstverständliche Voraussetzung für ihre Entscheidungen sind. Die Schmolke bestreitet ihr das Verfügungsrecht über andere. Ihr Gerechtigkeitsempfinden bäumt sich auf gegen die Anmaßung, mit der Jenny verfährt, und indem sie Corinna in ihrer provozierenden Haltung unterstützt, wird sie, ohne aus ihrer Bescheidenheit herauszutreten, für kurze Zeit zur Gegenspielerin Jennys. Sie greift dabei allerdings ihre eigene Substanz an. Daß Corinna im Begriff ist, eine der Grundtugenden des Menschen zu verraten, die Treue, hat ihr schon Marcell auf dem Heimweg vom Treibelschen Fest vorgeworfen. Corinna hat sich heftig dagegen verwahrt, obwohl sie spürt, daß Marcell recht hat. Alan Bance schreibt dazu: „He is accusing her principally of treason to her better self, of capitulation to the mores of Gründerzeit Prussia. In so far as she, a Schmidt, Stands for the old German virtues of loyalty,... she is betraying the old Germany in favour
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