Heft 
(1991) 52
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wieder zu Verstände kommen.' Hier wird mit den bescheidenen sprachlichen Mitteln der Schmolke aufgewiesen, welchen Weg Corinna gehen muß. Ehe sie nicht dem eigenen Versagen, der eigenen Schwäche bis in die letzten Falten ihres Herzens nachgegangen ist, kann sie zu keiner echten inneren Erneue­rung kommen. Es geht nicht an, etwas von der alten Haltung noch mit in das neue Leben hinüberzuretten, sondern es geht um einen radikalen Neuanfang. Mürbe",zerrieben": die beinahe lustvolle Vernichtung des eigenen Ich, der Durchgang durch einen Zustand der völligen Amorphie ist die Voraussetzung für eine Wiedergeburt.

Es ist ein Triumph der verwandelnden Kraft der Schmolke. Sie führt die Lösung nicht herbei, indem sie intrigiert, nicht, indem sie Handlungen ver­anlaßt oder begeht, die Corinnas Selbstverständnis fördern müßten. Aber sie hält in Corinna das Bewußtsein wach, daß man sein Handeln nicht nur von den eigenen Wünschen bestimmen lassen darf, sondern daß es sittliche For­derungen gibt, die zu respektieren sind, auch wenn sie die ungehinderte Selbstentfaltung" stören. Mit ihrer bloßen Existenz ist die Schmolke für Corinna ein stummer Vorwurf. Sie hat ihr zwar einmal nachgegeben und sie in ihrem Irrtum bestärkt, aber seitdem hat sie längst erkennen lassen, daß sie ihre Zustimmung revidiert hat und Corinnas Eigensinn das Zutrauen entge­gensetzt, daß diese wieder zu sich selber finden wird. Ohne die still wir­kende Kraft der Schmolke ist eine Lösung nicht denkbar.

In einem Satz, den wohl nur Fontane formulieren konnte, hat die Schmolke Corinna belehrt:Eifersucht ist sehr stark, viel stärker als Liebe. Mit Liebe is es nicht so schlimm.' (119) Dieser Satz gibt einen wichtigen Einblick in ihr Denken frei. Sie ist ein durchaus auf das Vernünftige, das Praktische gerichteter Kopf. Ihre Lebenserfahrung hat sie gelehrt, von großen Worten so wenig zu erwarten wie von großen Gefühlen. Das macht auch ihre Ein­schätzung des Verhältnisses von Corinna zu Marcell durchsichtiger. Sie glaubt ja keineswegs an eine leidenschaftliche, überschwengliche Liebe Corinnas. Wenn also Corinna ihren Verlobten Leopold gegen Marcell auswechselt, dann unterstützt die Schmolke sie nur, weil sie glaubt, daß Marcell besser zu ihr passen werde. (123) Es geht ihr nicht um eine Liebesheirat, sondern um eine mit Vernunft und Augenmaß geschlossene Ehe. Die Partner müssen zueinander passen. In diesempassen" liegen für sie die höchsten Mög­lichkeiten beschlossen. Natürlich bleibt dieses Wort weit hinter dem zurück, was in Liebesromanen herkömmlicherweise an Bekenntnissen ausgetauscht wird. Für die Schmolke aber ist der darin liegende praktische Ansatz das Höchste. Auch er enthält freilich noch einen imponderablen, irrationalen Rest. Aber die Liebe findet sich dann schon. So ist denn auch ihre Begründung, warum Corinna Marcell heiraten müsse und Leopold nicht heiraten dürfe, von einleuchtender Logik:un was mir zuerst kam, der Schreck über deine Verlobung, das war doch das richtige. Du mußt einen klugen Mann haben, einen, der eigentlich klüger ist, als du - du bist übrigens gar nich mal so klug - un der was Männliches hat, so wie Schmolke, un vor dem du Respekt hast. Un vor Leopold kannst du keinen Respekt haben!"' (151) Verständiger, mit

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