Der Roman ist so angelegt, daß niemand auf aggressive Aktionen setzt, die eine Lösung erzwingen. Eine Atmosphäre der freien Selbstbestimmung macht sich geltend. Deshalb verliert die Handlung auch ihre irdische Schwere, und alles löst sich in heiterem Zueinanderfinden auf. Corinnas Verlegenheit beim Wiedersehen mit Marcell ist alles, was an vergangene Schwierigkeiten und Irrtümer erinnert. So wird der Roman im Geist Corinnas zu Ende geführt: «so wenig tragisch wie möglich." (160) Man fährt zwar nach Verona ans Grab der Julia, aber die ist ja schon lange tot, und eigentlich ist die ägyptische Sargkiste, in der sie geruht haben soll, interessanter als sie selbst; zudem hat Julia sich durch ihre Exaltation um Corinnas Lebensweisheit gebracht: „Ich gehe davon aus, der Mensch in einem guten Bett und in guter Pflege kann eigentlich viel vertragen.'“ (161) Dies ist das letzte Wort, das wir von ihr in diesem Roman vernehmen. Verstrickungen, die das „Lebensglück" (man scheut sich ein wenig, nach Corinnas Bemerkung zum „Glück" das Wort leichtfertig zu gebrauchen) der jungen Leute zu bedrohen schienen, werden en passant behandelt, und Corinna und Marcell feiern ihre Hochzeitsnacht im Schnellzug von Berlin nach München, wobei sich der Leser der Gewißheit freuen darf, daß Corinna die Erfahrungen erspart bleiben, die Melusine im Apenninentunnel zwischen Florenz und Bologna sammeln mußte.
Die bei der Hochzeit auftauchenden sittlichen Bedenken werden behende beiseite gewischt: Daß Schmidt über das Problem reflektiert, ob eine Hochzeitsnacht im Schnellzug sittlich oder unsittlich, natürlich oder unnatürlich sei, liegt auf der Linie seiner sonstigen Reflexionen; daß er Jenny ausgerechnet in diesem Fall zur Entscheidung über Natur und Sittlichkeit berufen glaubt, entspringt einem Denken, das schließlich in einer allgemeinen Unsinnserklärung gipfelt. Die Einwände der Schmolke sind da schon erdnäher. Die Verlobungszeit der beiden ist ihr zu kurz: „Bis dahin sei ja bloß noch drei Wochen, also nur gerade noch Zeit, ,um dreimal von der Kanzel zu fallen". Daß sie sich schließlich über diesen Einwand mit der Feststellung hinwegsetzt: „, geredet wird doch", zeigt, wie wenig ihr bloße Konvention bedeutet und - das Gerede der Leute. Das Glück Corinnas steht für sie über allem. Diese Leichtigkeit in der Behandlung des Ernsten erstreckt sich im letzten Kapitel auch auf jenen Pindar-Satz, der die Bildungsvorstellungen und Ideale des alten Schmidt am vollkommensten ausdrückt und sie in die Form einer Forderung faßt: „Werde, der du bist." Schmidt wendet ihn zunächst auf seine Tochter an, die durch ihr Bekenntnis zu Marcell zu sich selbst zurückgefunden habe und damit auf dem richtigen Wege sei, schließt aber sogleich auch Marcell ein, der nun, als Archäologe, zeigen müsse, was in ihm stecke. Er müsse hinaus an n. "die großen Stätten, und besonders an die ganz alte Die ganz alten, das ist immer wie das heilige Grab; dahin gehen die Kreuzzüge der Wissenschaft ...' (159) Er selber hat diesen Weg nie gehen können. Aber Marcell soll nun nachholen, was ihm das Leben versagte. Er soll Mykenae, Messenien und Taygetos kennenlernen. Ihm ist die reine Verwirklichung seines Selbst aufgetragen: „Werde, der du bist!" Jenes Wort, das allen Griechenland-Schwärmern Ansporn war, soll ihm höchste Verpflich-
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