Paul Irving Anderson, Aalen
Der Durchbruch mit Grete Minde.
Ein Probekapitel aus Fontanes Biographie*
1. Eine unpassende Bemerkung
Da der Tod so ziemlich das Ernsteste ist, was einem Menschen passieren kann, ziemt es sich, bei Totenfeiern überall Zurückhaltung zu üben - wenigstens bis zum Leichenschmaus, wo man dann die Gelegenheit bekommt, den Kontakt mit all denen aufzufrischen, die man leider so lange nicht mehr gesehen hat. Aber was macht man bei einer öffentlichen Totenfeier, auf die kein Leichenschmaus folgt? Nun, da kann man sich sagen, das sei sowieso keine private Angelegenheit; Gefühle werden ohnehin nicht verletzt, also „nur keine Hemmungen.' So war es denn doch kein „mangelnder Sinn für Feierlichkeit", der Fontane packte, als er am Sonntag, dem 23. Februar 1879, bei der vom Verein Berliner Presse gegebenen Gedächtnisfeier für George Hiltl, A. E. Brachvogel und Karl Gutzkow sich den Weg zum Schauspieler Maximilian Ludwig bahnte, mit dem er gelegentlich Briefe zum Thema Theater wechselte, und ihm gegenüber eine Bemerkung machte, die weder dem Inhalt noch dem Tone nach in die Gedächtnisfeier hineinpaßte, die hauptsächlich dem spektakulären Selbstmord Gutzkows galt. Eine unwichtige Momentaufnahme, die nicht einmal eine Fußnote verdient? oder doch mehr, ein vielsagendes Detail, das eine ganze Geschichte in nuce enthält? Für letzteres spricht, daß Fontane selbst sein fragwürdiges Verhalten unterstrichen hat - er hat sich nämlich dafür schriftlich .. ., nun „entschuldigt" wäre nicht das richtige Wort, weshalb wir diese an Ludwig gerichtete Notiz erst einmal zitieren und dann erklären.
Hoffentlich ist mein kleines, Ihnen zugerauntes Wort nicht anders genommen worden, als es gemeint war. Es sollte - vielleicht im Zeitpunkt verfehlt — weiter nichts sein als ein scherzhafter Hinweis aut unsre alte Gutzkow- und Uriel-Acosta-Fehde, nicht aber ein Hieb oder Stich gegen die eben vernommene Rodenberg'sehe Rede. Diese war ganz ausgezeichnet, maaß-, takt- und gefühlvoll. 1
Wie kommt denn einer unpassenden Bemerkung soviel Bedeutung zu, daß Fontane sie mit einem kurzen Brief in einen Verweiszusammenhang bringt, dazu noch in Beziehung zu einem schon sechs Jahre zurückliegenden Meinungsaustausch, der als „Fehde" gekennzeichnet wird? Ist das nicht viel Lärm um
* Über Theodor Fontane gibt es keine psychologisierende, erst recht keine wissenschaftlich literaturpsycho- logische Biographie. Diesem Manko ein Ende zu setzen, ist die Absicht des Verfassers, der in der Psychologie allerdings ein Eklektiker und Autodidakt ist. Möge diese Studie also nicht als eine wissenschaftliche Darstellung von historischen Fakten verstanden werden, sondern als der wissenschaftlich disziplinierte Versuch, aus dem zähen Nebel, der Fontanes Entwicklung umgibt, einen zwar mehrdeutigen, dafür aber nachvollziehbaren Zusa mmenhan g erkennbar werden zu lassen. Und weil das Leben mehrdeutig und widersprüchlich ist, darf nicht verwundern, daß diese Studie nicht frei von Widersprüchen bleibt. Sonst wäre sie keine B i o graphie, sondern entweder eine trockene Chronik oder eine eindeutige, eigentlich hermetische Darstellung, also eine Mono graphie.
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