nichts? Freilich könnte man entgegnen, wir müssen Fontane beim Wort nehmen, er habe im Nachhinein verhindern wollen, daß Ludwig, der seine öffentliche Rolle durchaus ernst nahm, vielleicht den falschen Eindruck gehabt hatte, er wolle sich über den Gedenkredner Rodenberg beschweren oder gar lustig machen. Aber dann verlöre der Hinweis auf die angebliche Fehde jedes Gewicht, wäre nur Floskel, nur übertriebener Entschuldigungseifer. Andere Menschen würden vielleicht so denken, aber bei Fontane sucht man lieber erst nach dem angedeuteten Zusammenhang.
Daß Fontane das Gutzkowsche Drama Uriel Acosta für schwach hielt, kann man in seinen Causerien, seinen gesammelten Theaterrezensionen nachlesen. 2 Pickt man sie und die „Fehde-Briefe" sowie Briefäußerungen aus der Zeit gleich nach Gutzkows Selbstmord im Dezember 1878 heraus, so findet man in allen Zeugnissen die Meinung vom 29. April 1873 wieder, „ Alle Gutzkowschen Helden sind er selbst, d. h. moderne, von krankhaftem Ehrgeiz verzehrte, große 'Worte machende Menschen.“ 3 Fontane ging der Sinn für Feierlichkeiten nicht nur ab, er mochte ihn bei anderen Zeitgenossen auch nicht recht leiden.
Diese Meinung über Gutzkow äußert er so oft, als sei die Fehde vielmehr mit Gutzkow selbst gewesen. Und sollte Ludwig noch nach sechs Jahren, und ausgerechnet bei Gutzkows Totenfeier, daran erinnert werden? Dies ist schon merkwürdig, doch nicht ganz so nachtragend, wie es klingen mag, weil erst ein halbes Jahr vergangen war, seit Fontanes letzter „Fehde" mit Ludwig, und zwar über Schillers Erstlingsdrama Die Räuber. Darüber hatte Fontanes Kritik auch ganz ähnlich geklungen wie über Uriel Acosta. Welcher Zufall, daß in dem zitierten Brief von 1873 Die Räuber miterwähnt wurden. „ Meine Emptindung verwirft Uriel Acosta und ist umgekehrt nicht nur durch alles Shakespearsche hingerissen, sondern sogar auch durch die Räuber. " 4 Trotz des ersten Anscheins ist dies kein Widerspruch zum Vor her gesagten, sondern Beleg für Fontanes innere Weiterentwicklung, wie aus dem Brief an Ludwig vom 2. Mai 1878 zu entnehmen ist. Da schreibt er über Schillers Protagonisten, den wegen brüderlicher Intrigen enterbten Karl Moor, der zur Selbstjustiz greift:
Das Wesen der Dinge bleibt dasselbe, aber die Form wechselt. Im letzten emplinde ich (gerade ich) genau so wie Karl Moor, aber alles was er sagt und thut, erscheint mir unsinnig und lächerlich. Die Form von damals ist nicht die Form von heut und die ganze Karl-Moor-Stattlichkeit, die vor hundert Jahren die Stattlichkeit eines Helden war, ist heute die Stattlich- keit eines Wassersüchtigen. Alles geschwollen und aufgetrieben 5 .
Wenn Fontanes Bemerkung bei der Feier an diese Worte, ob gewollt oder ungewollt, erinnern konnte, dann bestünde vielleicht Grund für Klarstellungen. Da fragt man sich, weshalb es ihn förmlich gedrängt hat, sich womöglich zu blamieren, indem er dem Gedächtnis des Schauspielers einen derartigen Anstoß gab.
Der langen Rede kurzer Sinn lautet: Fontane dachte weder an Gutzkow, noch an Schiller direkt, sondern an ein Drittes, Verwandtes, das ihm auf den Nägeln brannte. Seit genau acht Tagen lag seine neue Novelle, Grete Minde, bei
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