immer mehr oder weniger eine Zumutung, denn er hegte den unter deutschen Künstlern üblichen Narzißmus, für jenes Große geliebt zu werden, das er eigentlich erst zu leisten hatte.
Weil Grete Minde, was oft völlig übersehen wird, in der Tat ein »Durchschläger" wurde, der den Herausgebern bewies, daß Fontanes Erzählungen sich auf ihre Auflage positiv auswirken konnten, muß eine psychologische Fontane-Biographie die Gründe für diese Erfolgswende ermitteln. Daß die Wende sich bald bemerkbar machte, zeigt ein Brief an seine Frau Emilie vom 6. Juni 1879, gleich nach Erscheinen der zweiten Fortsetzung:
Heute vormittag war ein Klingeln ohne Ende ... Natürlich alles Folge von Grete Minde, ... So erfreulich dies nun alles ist, so traurig ist es doch auch. Vor allem aber ist es nicht im Geringsten schmeichelhaft. Denn man bilde sich doch nicht ein, daß diese Huldigungen dem Talente gölten, daß dahinter die Mare und freudige Erkenniß steckte: .dies ist wirklich ein Poet/ Gott bewahre. Die Huldigung gilt nur dem kleinen Erfolg, und um allerhand dumme Weiber, die mit Hülfe von Keil, Dummheit und Compagnie ganz andre Erfolge haben wie ich, reißt man sich auch noch ganz anders. Es ist alles allergröblichstes Geschäft. 11
Noch nach fünf Tagen schreibt er im selben Sinne weiter, wobei wir gerne wissen möchten, worauf genau dieser Erfolg, dieser Besucherstrom zurückzuführen war. Fontanes Unzufriedenheit mit den genannten oder angedeuteten Gründen mag berechtigt gewesen sein, aber die bloße Feststellung bringt uns nicht weiter, sondern dreht sich im Kreise, wie die meisten Kommentare und Kritiken aus späterer Zeit. 12 Dabei hing doch so viel von diesem Erfolg ab. Sonst hätte Fontane es sehr schwer gehabt, seine nächsten erzählerischen Versuche unterzubringen. Eine ähnliche entscheidende, obwohl rein persönliche, jedoch ungleich gefährlichere Krise würde er dreizehn Jahre später erleben, als er das drohende Ende seiner produktiven Zeit durch das Schreiben seiner Kindheitserinnerungen überwand.
Worin bestehen die Erfolgsfaktoren eines Dichter? Manche liegen beim Publikum und lassen sich z. T. historisch erforschen; manche liegen beim Dichter und müssen u. a. literaturpsychologisch herausgearbeitet werden; aber noch andere ergeben sich innerhalb der literarischen Umwelt, unter Kollegen sozusagen, wo manchmal schon Vergleiche, manchmal erst Nachlaßveröffentlichungen die Zusammenhänge erklären können. Im folgenden sollen alle drei Erfahrungswelten im Hinblick auf die Entstehung von Grete Minde untersucht werden, wobei es schwerfällt, sie sauber von einander zu trennen, denn die eine Erfahrungsart beeinflußt die andere und läßt sich wiederum in verschiedene Aspekte aufteilen. Als erste untersuchen wir Fontanes Gefühlswelt, teilweise weil die Zeugnisse dies nahelegen. Es liegt aber auch nahe, daß sich der äußere Erfolg erst dann einstellt, wenn der Schriftsteller bei sich selber Erfolg gehabt hat, d. h., wenn es ihm gelungen ist, seine Phantasien auf den zu bearbeitenden Stoff einzustimmen, oder, um Fontanes Bildersprache zu bemühen, seinen Psycho- 51