graphen 13 zum Sprechen zu bringen. Im Alltagsleben sind solche Vorgänge privat und uninteressant; in der Dichtung sind sie nicht nur mitbestimmend, sondern hinterlassen u. a. deutliche Spuren, die fundierte Schlußfolgerungen erlauben.
3. Tagträume eines Theaterkritikers
Bis die letzte Folge von Vor dem Sturm im April erschienen war, hatte Fontane bereits eine stattliche Sammlung von möglichen Stoffen angelegt. Aus einem Brief an seine Frau wissen wir, daß er sich spätestens am 6. Mai entschloß, als ersten den Stoff zu Grete Minde in Angriff zu nehmen. Leider läßt er sich über die Gründe für diese Entscheidung nirgends aus. Da es sich jedoch um Literatur handelt, auch in Anbetracht der psychologischen Allerweltsweisheit, wonach des die Feder überläuft, wes das Herz voll ist, so bestehen bei einem täglich briefe- und spaltenschreibenden Autor wie Fontane keine großen Schwierigkeiten, untereinander vergleichbare Spuren zu sichern. Am leichtesten zu besprechen sind mögliche literarische Querverbindungen. In dieser Hinsicht hatten schon Fontanes zeitgenössische Rezensenten auf Ähnlichkeiten mit Kleists Michael KoHhaas 14 hingewiesen. Obwohl ein solcher Vergleich keineswegs abwegig ist, belegen Fontanes Briefe und Theaterarbeiten ein anderes, noch treffenderes literarisches Vorbild: Schillers Erstling, Die Räuber. Wir haben bereits gezeigt, wie Fontane damals zu diesem Stück stand, aber es fehlt noch das unmittelbare Erlebnis, die Spuren der Tagträume, die zu einer realisierbaren Opus-Phantasie führten. 15
Die Arbeit eines Theaterrezensenten mag sehr angenehm scheinen, aber sie hat auch ihre Strapazen, zum Beispiel dann, wenn der Kritiker innerhalb von sieben Tagen dasselbe Stück, das ihm schon lange mißfällt, dreimal ansehen und dreimal referieren muß - doch genau das verlangte Fontanes Amt von ihm am 27. April, 1. und 3. Mai 1878, Die Räuber, jedesmal freilich bei anderer Besetzung. Allein dieses dreimalige Ansehenmüssen kurz vor der Ankündigung des Entschlusses, Grete Minde zu schreiben, empfiehlt uns, nach Vergleichsmomenten zwischen beiden Werken zu suchen. Auch der oben zitierte Brief an Karl-Moor-Darsteller Maximilian Ludwig vom 2. Mai mit der Versicherung, „Im letzten empfinde ich (gerade ich) genau so wie Karl Moor', unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur das nachzuprüfen, was die Handlungen der beiden Stücke gemeinsam haben, sondern in diesen Gemeinsamkeiten Anhaltspunkte dafür zu suchen, wie Fontane sich gleichzeitig in die Rolle des Karl Moor, bzw. der Grete Minde einfühlen konnte.
Müssen Fontanes Tagträume bei diesen drei Aufführungen nicht besonders gereizt sein? Wenn er von der „Stattlichkeit eines Wassersüchtigen, alles geschwollen und aufetrieben’ schreiben konnte, dann mußten es auch ärgerliche Phantasien gewesen sein, die provoziert wurden. Und wenn er daran dachte - was kaum ausbleiben konnte daß der noch sehr junge Schiller mit diesem Stück den großen Durchbruch geschafft hat, dann wird er wohl auch an den 52