Heft 
(1991) 52
Seite
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jungen Fontane und seinen immer noch ausbleibenden Durchbruch als Erzäh­ler gedacht haben.

Woran kann sich Fontanes Gefühl so heftig entzündet haben, daß er hinter Karl Moor sich selbst und Grete Minde auch erblicken konnte? Einen bösartigen Bruder wie Franz Moor oder Gerdt Minde hatte Fontane nicht gehabt. Sein eigenerAufstand' fand nicht jung und privat, sondern mit Ende zwanzig während der 48er Revolution statt. Er ging auch nicht - wie bei Karl Moor - mit der Selbstauslieferung an die Justiz, noch wie bei Gretes wahnsinniger Brandstiftung selbstmörderisch zu Ende, sondern mit dem Schritt in die Ehe und K arriere als regierungsamtlicher Journalist. Diese Fragestellung scheint also zunächst unergiebig.

Die Räuber und Grete Minde sind aber auch Liebesgeschichten, die für die bzw. den Geliebten tragisch ausgehen. Fontanes erste erlebte Liebesgeschichte ging zwar nicht tatsächlich, dafür aber emotionelltragisch" aus, d. h. im Sinne Heines,sie hat einen anderen erwählt.' Und hier beginnen unsere Sensoren, starke Impulse zu registrieren: ist das Verstecksuchen, das für Grete und Valtin die eigentliche Kindheitsidylle bildet, nicht die süßeste Erinnerung Fon­tanes an die eigene Spielzeit, wie uns Meine Kinderjahre verrät, das ganz besondere Gefühlserlebnis, das er beim Erzählen sein Leben lang verspürte? Das sind literaturpsychologische Parameter erster Güte, da läßt sich tage- und nächtelang phantasieren.

Fontanes erste Liebe in seiner Swinemünder Zeit hieß offiziell Dorothea, mit Rufnamen Minna Krause. Mit Karl Moors Amalia ist sie kaum zu vergleichen, aber wenn Valtin beim Anblick der dreizehnjährigen Grete unerwiderte Herz­schmerzen empfindet, dann klingt das wie Fontanes Erinnerungen an Minna in seinem Brief an Lepel vom 21. August 1851. Ja, und wie war das mit Profes­sor Wilibald Schmidt? War er nicht wegen eines Anfalls von Sentimentalität von einer Soiree bei seiner Jenny plötzlich fortgelaufen, die sie an einem 14. Februar, also einem Valentinstag inszeniert hatte? Vernunft hin. Ar­ger her, wenn er an Minna zurückdachte, hat es ihn immer gepackt; er konnte sich dann selbst zwar nicht mehr ausstehen, aber er konnte auch nichts dafür. Es nutzt auch nichts, dagegen einzuwenden, daß der junge Theodor schon 1832, mit zwölf Jahren also, in die ferne Schule geschickt wurde, zuerst nach Neu­ruppin und dann nach Berlin; denn bis zum Sommer 1836 war er in den Ferien an der Ostsee mit ihr zusammen. Da war er 1 6 1 / 2 sie schon 15. Mit etwas Phantasie und Begabung ließe sich ein schönes Drehbuch daraus machen. Auch die von seiner Mutter gesammelte lange Reihe Liebesgedichte an sie beweist, daß er ihr lange nachhing. Dasselbe gilt auch für seine pubertäre Erstver­öffentlichung, die Erzählung Geschwisterliebe - mit den Räubern kaum zu vergleichen -, die die gewaltige Eifersuchtskrise gestaltet, die ihn heimsuchte, als Minna an ihrem 19. Geburtstag den Sohn seines Schulrektors von Klöden - kein Franz-Moor-Typ - heiratete. Aber woran erkennen wir, daß ihn diese Erinnerungen bereits bei der Räuber- Vorführung quälten? So oberflächlich der Auslöser erscheinen mag, so wirksam war er doch, wahrscheinlich weil er in der Gestalt des alten Moor einherging: 53