Heft 
(1991) 52
Seite
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Das Erscheinen des alten Moor, ... in modrig gewordenen und an ihren Rändern halb weggefaulten Staatskleidern ist von großer Wirkung, aber man stecke in diese Staatskleider eine künstlerische Null hinein und warte dann ab, was von dieser ,großen Wirkung" noch übrigbleibt. Sie wird bald ins Komische Umschlägen. 16

Bei Fontane selbst schlug die Wirkung noch ganz anders um, denn diese »künstlerische Null" hieß ausgerechnet Krause.

Stellen wir uns mal vor, Fontane müßte bei solcher Gestalt unwillkürlich an Minnas Vater, Kommerzienrat Krause denken. Liest man die respektvolle Er­innerung in den Kinderjahren, so muß es das reinste Vexierbild gewesen sein. Er, der mit Karl Moor mitfühlte, hätte beim alten Moor an den eigenen Vater denken müssen, der in seinen letzten Jahren tatsächlich einen heruntergekom­menen Eindruck gemacht hatte. Aber diese Figur hieß wie der respekteinflö­ßende Mann, dessen Schwiegersohn er so gern geworden wäre! Somit schmolzen schmerzhafte Erinnerungen zusammen, die das alte Gefühl wieder wachriefen, daß sein Vater ihn eigentlich um seine Erbschaft gebracht habe. 17 Diese Erbschaft bestand beileibe nicht nur aus Geld, obwohl Vater Fontane anfangs und lange noch als mäßig wohlhabend angesehen werden konnte, sondern vor allem im Ansehen. Darum muß das Blickfeld auf Fontanes Groß­vater ausgeweitet werden, denn er, der es im Leben wirklich weit gebracht hatte zum Zeichenlehrer der preußischen Königskinder und zum Privatsekre­tär ihrer Mutter, der Königin Luise, er - und natürlich auch dessen Bruder, der Chausseebaumeister - hatten in den Augen seines Enkels sehr, sehr großes Ansehen erlangt. Für einen in der Landesgeschichte früh bewanderten Jungen war das großväterliche Erbe ein beneidenswertes - das der Vater wegen dem ewig verlustreichen Kartenspiel verspielt hatte!

Die Spuren dieses Vererbungskomplexes begegnen uns dann in Gretes Familie verkleidet wieder. Mit dem alten Minde, von dem Gretes Erbe stammt, teilte Großvater Fontane das Schicksal, drei Ehefrauen überlebt zu haben; aber er ist nicht ihr Großvater, sondern ihr Vater. So begeht der Dichter eine Art Erb­schleicherei, indem er das Ehepaar Gerdt und Trud, das Grete die Erbschaft aberkennt, an die Stelle seiner Eltern setzt, diese also ihrer Autorität beraubt und zu seinen Geschwistern deklassiert. Damit rückt er, als Mädchen verkleidet, zum Kind seines Großvaters auf und darf sich mit Minna ebenbürtig fühlen. Bestimmt war es ein verwegener Ehrgeiz, Schwiegersohn von Kommerzienrat Krause werden zu wollen, aber das wäre seine Rettung gewesen. Damals war das einzige Mittel, das dem Jungen zu Gebote stand, das Versemachen: waren die Krauses nicht als Kunstmäzen bekannt? 1878 brauchte Fontane auch einen Retter, und anscheinend ist ihm dieser in der Form einer alten Enttäuschung erschienen. Grete ist nicht mehr Minna, sondern die Retterin überhaupt, die rebellische, gefährliche Muse. Das Rezept, womit er dreizehn Jahre später seine Dämonen bannen würde, hatte er also schon 1878 in verkleideter Form und mit fühlbarem Erfolg ausprobiert. Hinter dem Grete Minde-Stoff versteckte er die gleichen Jugenderinnerungen und spielte eine wilde Variante davon auf phantastische Weise durch. 54