Heft 
(1991) 52
Seite
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der Franz spielt? Wer erzählt in diesemBoulevard"-Stück dem Vater-land Lügen und Halbwahrheiten zum eigenen Vorteil? Wer außer Otto von Bismarck? Solche psychologisierenden Überlegungen lassen es fruchtbar erscheinen, Grete Minde nach Spuren der politischen Auseinandersetzung zu untersuchen, also trotz all ihres vordergründigen Historismus als aktuelle politische Allegorie zu interpretieren. Die eindeutigste Bestätigung für beabsichtigte politische Rele­vanz bietet die Entstehungszeit der ersten Fassung. Am 11. August schreibt er, Meine Novelle hab' ich angefangen und. sehe wenigstens, daß es geht . 25 Am 10. September schreibt er,Seit gestern Abend aber hat nun ,Grete Minde', meine neue Heldin, Ruhe, ruht, selber Asche, unter der Asche der von ihr aus Haß und Liebe zerstörten Stadt.'' 26 Ungefähr in der Mitte dieser 30 Tage, am 29. Au­gust hatten die Reichstagswahlen stattgefunden. Grete Minde ist also nachweis­lich in der »heißen Phase" und in den »Nachwehen" einer der aufregendsten Wahlkämpfe, die das Kaiserreich je erlebt hat, entstanden. Obwohl Fontane sich öfters über Wahlausgänge desinteressiert geäußert hat, war er sich der Wichtigkeit dieses Ausgangs wohl bewußt und schrieb seiner Frau,am 29. (Wahltag) muß man ohnehin hier sein. Dies mal gilt es." 21 Es wäre auch natürlich schön zu wissen, wie er gestimmt hat, aber die Novelle verrät uns eigentlich noch Wichtigeres.

Betrachten wir zuerst Fontanes Verhältnis zu den aktuellen Entwicklungen. Nach dem Scheitern der 48er Revolution verlief seine persönliche Versöhnung mit der Gesellschaft anfangs schmerzhaft, später vorteilhaft. Der Patriot nahm gern die Gelegenheit zur Mitarbeit an, während der innerlich um sein verspieltes Erbe Kämpfende erst nach Jahren die angenehmen Seiten des Konservatismus kennen und schätzen lernte, erstauf der Wanderung" sozusagen. Und als er 1864 berufen wurde, über den Krieg gegen Dänemark zu schreiben und so­mit ins Bismarcksche Lager hinüberzuwechseln, das bald auch das nationallibe­rale Lager wurde, da wuchs sein Ehrgeiz mit der Aufgabe, denn das war ja nun wirklich nach seinem Geschmack. Also war er seit vierzehn Jahren dem Bismarckschen Kurs zwar nicht unkritisch, jedoch als engagierter Bundesgenosse gefolgt; von der erzkonservativen Kreuzzeitung war er 1870 zu der liberalen Vossischen Zeitung über gewechselt; in Vor dem Sturm hatte er dem National­liberalismus einen Epos, ja einen Mythos wie auf den Leib zugeschnitten. Al­lerdings ließ der Kanzler seit Jahren seine liberale Hausmacht immer wieder im Regen stehen, wann immer er einen Sinneswandel erfuhr. Aber jetzt wollte er sogar die Pferde wechseln und verbreitete zu diesem Zwecke die hinter­hältigsten Lügen über seine auserkorenen Gegner, die Sozialisten.

Eigentlich kamen Bismarck, so zynisch es klingt, die beiden Attentate sehr zupaß. Auf die Binsenweisheit, daß in jedem sich seiner Lage bewußten Unter­drückten und Verzweifelten ein potentieller Attentäter steckt, hat Bismarck zur Durchsetzung der Sozialistengesetze und zur Erklärung seines Entschlus­ses, die Konservativen zu seiner Hausmacht zu machen, gesetzt. In der all­gemeinen Aufregung siegte also das Vorurteil klar vor den Fakten. Da be­merkte kaum jemand, daß ein geschätzter Mitarbeiter die scharfe Rechtskurve nicht mitkriegte, vielleicht nicht kriegen konnte oder wollte. 59