Heft 
(1991) 52
Seite
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Behandlung die Gegenwart suggeriert. Und drittens bietet es der Gegenwart keinen aufbauenden Mythos, sondern ein grimmiges allegorisches Spiegelbild mit oppositioneller Tendenz an. Doch das beschreibt das Werk nur; die Gründe für die Unterschiede erklärt es nicht.

Vielmehr fragt es sich, wie Fontane dazu kam - wo er doch offenbar provo­zieren wollte - auf die Kommentare zu verzichten, und statt dessen eine weit­gehend auf Grete eingeschränkte Erzählperspektive einzunehmen. Er läßt die Charaktere alle ihre beschränkten Kommentare scheinbar unwidersprochen ab­geben; höchstens indirekt teilt er dem Leser mit, wie er selber denkt.

Obwohl Fontane diese Wende kaum begründet hat, liegt es nahe, diese Unter­schiede als Folge der laufenden Diskussion über Vor dem Sturm zu betrachten. Von solchen Zeugnissen, wie die oft zitierte Nachschrift vom 14. Januar 1879 an den Romanverleger Hertz, könnte man den Eindruck gewinnen, er sei zu keinen Zugeständnissen an seine Kritiker bereit.

Die Besprechung des Romans in .Mehr Licht (durch Eugen Zabel - Verf.] hab ich erst heute, durch Ihre Zeilen darauf aufmerksam gemacht, gelesen. Es ist .toll genug". Nur die Stelle, daß der Erzähler nicht mitsprechen darf, weil es gegen das .epische Stilgesetz" sei, erscheint mir als reine Quacke­lei. Gerade die besten, berühmtesten, entzückendsten Erzähler, besonders unter den Engländern, haben es immer gethan. Dies beständige Vor- springen des Puppenspielers in Person, hat für mich einen außerordent­lichen Reiz und ist recht eigentlich das, was jene Ruhe und Behaglich­keit schafft, die sich beim Epischen einstellen soll. Die jetzt modische ,dramatische' Behandlung der Dinge hat zum Sensationellen geführt3 2

So klar, so überzeugend wie Fontane dies sagt: Tatsache ist, er wird jetzt nur noch diedramatische Behandlung" praktizieren bis zum Schluß und zwar konse­quenter als jeder andere Zeitgenosse. Wie ist denn diese Nachschrift mit der dreißig Tage später abgelieferten Novelle in Einklang zu bringen? Im Brief­korpus verkündet er sogar, sie werde in drei Tagen fertig sein. Diese Fragen können wir nicht befriedigend beantworten, weil die Handschrift beinah vol­lends verschollen ist, aber es ist, als ob diese Rechtfertigung die Grabinschrift über seinem bisherigen Schaffen wäre, als ob er über diesen kritischen Punkt sein Erzählgenie entdeckt hätte. Nicht als ob er mit fliegenden Fahnen die künstlerische Position gewechselt hätte, denn er ärgert sich ein halbes Jahr später darüber, daß dieSensation" der Novelle mehr zum Erfolg verholfen hat als seine Kunst.

Was die Unterschätzung der für die Fertigstellung der Novelle benötigten Zeit angeht, so kommen solche Bemerkungen in den Briefen Fontanes häufig vor. Vielfach sind solche Mitteilungen als Hinhaltetaktik zu bewerten, die er als Produzent brauchte, um über eine starke Auftragslage verfügen zu können. Aber diese Briefstelle ist so entschieden formuliert, daß man glauben könnte, die Urfassung der Novelle sei noch weitgehend im gleichen Erzählstil verfaßt gewesen wie Vor dem Sturm. ßt sich dieser Eindruck bestätigen, daß er 62