Heft 
(1991) 52
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die der Interpret sich ebenso genau ansehen sollte, wie er auf die - das Archetypische" des Erzählten markierenden - gelegentlich durchschimmernden mythologischen Versatzstücke zu achten hätte. Aufeinander bezogen und kunst­voll-harmlos in das Geschehen verwoben dienen sie nie nur dem Kolorit - oder stellen garFüllsel" 3 dar, wie selbst der im dänischen Spiel-Raum am besten bewanderte Kommentator des Romans behauptet. Folgerichtig ist denn auch noch niemand ernsthaft der Frage nachgegangen, was Fontanes Be­merkung, es klänge nordisch Romantisches mit durch ", so recht eigentlich meint. 4 Der ganze Aufwand an Geschichte und Mythologie (antiker, nordischer, christlicher - und ihrer Umbildung im Volksaberglauben) dient allerdings auch nicht der schlichten Verdoppelung und bloß quantitativen Vertie­fung desStoffes" im Sinne einer wiederholten Spiegelung. Vielmehr baut der Autor besonders geschliffene Spiegel um die Fabel und ihre Akteure herum auf: Sie verzerren (oder entzerren - je nach Standpunkt) die rührende Story bis zur Kenntlichkeit. Nur muß man das Vorwissen Fontanes mühsam rekon­struieren, um annäherungsweise mit seinen Augen in die Spiegel zu schauen und damit der Überzeugung des Dichters Rechnung zu tragen, daß sich Lite­ratur keineswegs in der gedankenarmen Variation des ThemasGrete liebte Hans, aber Peter war dreister, und so hatte Hans das Nachsehen " 5 zu erschöp­fen brauche. Selbst noch so akribisches Auflisten vonStellen" bleibt bei einem derartigen Vorhaben unergiebig, verfehlt man die persönlicheTiefengram­matik" Fontanes, die internen Relationen des Gebrauchs der Kenntnisse man­nigfaltigster Art, die sich der Polyhistor im Laufe seines langen Lebens von überall hereingesaugt" hatte. Schließlich dürfen deshalb keineswegs die kon- temporären, die hochaktuellen Deutungsmuster des Zeitgeistes - samt ihren exponiertesten und kritischsten Ausprägungen (etwa Nietzsche) - ausgeblen­det werden; - gerade dann nicht, wenn es sich vorgeblich um einenhistori­schen" Roman handelt: Unwiederbringlich ist zugleich ein politischer Zeitroman, derewige" ethisch-moralische Normen ebenso in den intertextuellen Malstrom seiner radikalen Destruktion zieht wie die im Kaiserreich aufpolierten alten Mythen der Herrschaftslegitimation. Fontane macht in dieser so raffiniert transponierten", d. h. auch der deutschen Gegenwart - mit ihren Majestäts- beleidigungs- und Literaturprozessen - entrückten Geschichte vor nichts halt. - Vor allem nicht vor denheiligsten Gütern der deutschen Nation", vor Thron und Altar. Wie lautet doch der auktoriale Kommentar zu Arnes Ver­gleich des Holkschen Neubaus mit demTempel zu Pästum" (S. 7)?Natürlich alles ironisch Ge­ ." SDie Ellipse, die auf das Gemeinte als das Gegenteil des sagten zielt, soll uns bei der Ausmessung des dunklen Grundes von Unwieder­bringlich ein Leitsatz sein. Sie ist der rote Faden des Textes.

Jede Interpretation erweist sich objektiv als der Interpretationsgeschichte des betreffenden Werkes verpflichtet. Wir bekennen uns daher zur dankbaren Ausbeutung der Resultate vorgängiger Arbeiten, die für uns zumeist wichtige Bausteine erbrachten; das daraus errichtete Deutungs-Gebäude jedoch ist eine wirkliche Innovation. Allein Renate Böschenstein-Schäfer, die als Aus­nahme unter denälteren" Fontanephilologlnnen gleichfalls nicht an das zur

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