die der Interpret sich ebenso genau ansehen sollte, wie er auf die - das „Archetypische" des Erzählten markierenden - gelegentlich durchschimmernden mythologischen Versatzstücke zu achten hätte. Aufeinander bezogen und kunstvoll-harmlos in das Geschehen verwoben dienen sie nie nur dem Kolorit - oder stellen gar „Füllsel" 3 dar, wie selbst der im dänischen Spiel-Raum am besten bewanderte Kommentator des Romans behauptet. Folgerichtig ist denn auch noch niemand ernsthaft der Frage nachgegangen, was Fontanes Bemerkung, es klänge „ nordisch Romantisches mit durch ", so recht eigentlich meint. 4 Der ganze Aufwand an Geschichte und Mythologie (antiker, nordischer, christlicher - und ihrer Umbildung im Volksaberglauben) dient allerdings auch nicht der schlichten Verdoppelung und bloß quantitativen Vertiefung des „Stoffes" im Sinne einer wiederholten Spiegelung. Vielmehr baut der Autor besonders geschliffene Spiegel um die Fabel und ihre Akteure herum auf: Sie verzerren (oder entzerren - je nach Standpunkt) die rührende Story bis zur Kenntlichkeit. Nur muß man das Vorwissen Fontanes mühsam rekonstruieren, um annäherungsweise mit seinen Augen in die Spiegel zu schauen und damit der Überzeugung des Dichters Rechnung zu tragen, daß sich Literatur keineswegs in der gedankenarmen Variation des Themas „Grete liebte Hans, aber Peter war dreister, und so hatte Hans das Nachsehen " 5 zu erschöpfen brauche. Selbst noch so akribisches Auflisten von „Stellen" bleibt bei einem derartigen Vorhaben unergiebig, verfehlt man die persönliche „Tiefengrammatik" Fontanes, die internen Relationen des Gebrauchs der Kenntnisse mannigfaltigster Art, die sich der Polyhistor im Laufe seines langen Lebens von überall her „eingesaugt" hatte. Schließlich dürfen deshalb keineswegs die kon- temporären, die hochaktuellen Deutungsmuster des Zeitgeistes - samt ihren exponiertesten und kritischsten Ausprägungen (etwa Nietzsche) - ausgeblendet werden; - gerade dann nicht, wenn es sich vorgeblich um einen „historischen" Roman handelt: Unwiederbringlich ist zugleich ein politischer Zeitroman, der „ewige" ethisch-moralische Normen ebenso in den intertextuellen Malstrom seiner radikalen Destruktion zieht wie die im Kaiserreich aufpolierten alten Mythen der Herrschaftslegitimation. Fontane macht in dieser so raffiniert „transponierten", d. h. auch der deutschen Gegenwart - mit ihren Majestäts- beleidigungs- und Literaturprozessen - entrückten Geschichte vor nichts halt. - Vor allem nicht vor den „heiligsten Gütern der deutschen Nation", vor Thron und Altar. Wie lautet doch der auktoriale Kommentar zu Arnes Vergleich des Holkschen Neubaus mit dem „Tempel zu Pästum" (S. 7)? „Natürlich alles ironisch Ge ." SDie Ellipse, die auf das Gemeinte als das Gegenteil des sagten zielt, soll uns bei der Ausmessung des dunklen Grundes von Unwiederbringlich ein Leitsatz sein. Sie ist der rote Faden des Textes.
Jede Interpretation erweist sich objektiv als der Interpretationsgeschichte des betreffenden Werkes verpflichtet. Wir bekennen uns daher zur dankbaren Ausbeutung der Resultate vorgängiger Arbeiten, die für uns zumeist wichtige Bausteine erbrachten; das daraus errichtete Deutungs-Gebäude jedoch ist eine wirkliche Innovation. Allein Renate Böschenstein-Schäfer, die als Ausnahme unter den „älteren" Fontanephilologlnnen gleichfalls nicht an das zur
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