Heft 
(1991) 52
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kunft, wenn er in einem sehr umfangreichen Sinneauf der Bank des Erzäh­lers' 13 Platz genommen, also den Vorstellungsinhalt, den der reale Erzähler mit dieser Fördenlandschaft verbindet, näherungsweise rekonstruiert hat. Da­bei stellt sich heraus, daß Holkenäs in seiner seltsamen Lage -eine Meile süd­lich von Glücksburg ", fernab der Küste, wäre ein Schloß auf den Dünen unmög­lich - zum Umfeld der Kämpfe um die Düppelner Schanzen und des Über­gangs nach Alsen gehört, die den Ausgang des Krieges von 1864 entschieden. An der historischen Oberfläche des Textes die aber dennoch nicht leicht ein­zusehen ist setzt das einen Blick über den Horizont der erzählten Zeit vor­aus, haben wir es doch mit derTatsache' zu tun, daß der Hauptschauplatz des Romans zum Umfeld desjenigen preußischen Sieges gehört, der die von den Holkenäs-Bewohnern einhellig abgelehnte Einverleibung Schleswig-Holsteins durch Preußen zur Folge haben würde. Holks ironisch gemeinte Prognose von 1859: Und wir werden preußisch werden, und eine Pickelhaube wird auf eine Stange gesteckt werden wie Geßlers Hut, und wir werden davor niederknien und anbeten ' (S. 30), war dreißig Jahre später mehr oder weniger im ganzen Reich Wirklichkeit geworden.Alldeutschland" 14 hatte für seine Aufrichtung den Preis der Verpreußung gezahlt.Deutsch, aber nicht preußisch, so soll es sein ' (S. 32) -, der fromme Wunsch Christines, - der auf einem Ausspruch Friedrich Wilhelms IV. (und einer Forderung des 1848er Publizisten Fontane) beruht 15 - wird sich nicht erfüllen; im Todesjahr desRomantikers auf dem Thron' stirbt auch die Gräfin Holk. Es hieße aber die bewegte Entste­hungszeit von Unwiederbringlich als Wertungspol des Geschehensabzu­klemmen", betrachtete man es nur aus der Perspektive von 1864. Die Jahre 1887-1890, in denen Fontane am Text arbeitete, markieren das Ende der Ära Wilhelms I. und Bismarcks, wie die Jahre 1859-1861 deren Anfang. Aus die­ser Spannung erwächst u. E. die politische Dimension des Romans. Das Däne­markvor dem Niedergang" 16 interessierte Fontane in erster Linie als bezie­hungsreich mit dem Aufstieg Preußens verbundener Fall von nationaler Hybris. Georg Brandes, der Propagandist Ibsens und Nietzsches - vom Autor wohl nicht zufällig zum Gutachter des Lokalkolorits bestellt - beschrieb die däni­sche Befindlichkeit zwischen den Kriegen in der Deutschen Rundschau mit Worten, die auch die herrschende Mentalität Deutschlands nach Versailles fas­sen könnten:Man sehe schließlich das ganze dänische Volk.. . gewohnt, so hoch und so groß von sich selbst zu denken, schwellend vor Selbstgefühl nach dem siegreichen Ausgange des dreijährigen Kampfes um Schleswig 1848-1850. Die zwölf Jahre zwischen den zwei.. . Kriegen gehen hin in einem Traum von Glück und Kraft. Sorglos... sah die dänische Nation nicht die drohende Gefahr." 17 DieseSorglosigkeit" durchweht den Text von Unwiederbringlich alsapres-nous-le-deluge"-Stimmung, deren Ergänzung Christines apokalyp­tische Ahnungen sind. Wenn sowohl dem schleswigschen Grafen als auch dem dänischen König (dem letzen seines Stammes!) ausdrücklichNach-uns-die- Sündflut'-Ve rhalten bescheinigt wird (S. 37, 129), gehen privates und politi­sches, deutsches und dänisches Schicksal ineinander über. Fontane gelingt es bereits durch Figurenkonstellationen und -Charakteristik (hierher gehören auch

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