kunft, wenn er in einem sehr umfangreichen Sinne „auf der Bank des Erzählers' 13 Platz genommen, also den Vorstellungsinhalt, den der reale Erzähler mit dieser Fördenlandschaft verbindet, näherungsweise rekonstruiert hat. Dabei stellt sich heraus, daß Holkenäs in seiner seltsamen Lage - „eine Meile südlich von Glücksburg ", fernab der Küste, wäre ein Schloß auf den Dünen unmöglich - zum Umfeld der Kämpfe um die Düppelner Schanzen und des Übergangs nach Alsen gehört, die den Ausgang des Krieges von 1864 entschieden. An der historischen Oberfläche des Textes — die aber dennoch nicht leicht einzusehen ist — setzt das einen Blick über den Horizont der erzählten Zeit voraus, haben wir es doch mit der „Tatsache' zu tun, daß der Hauptschauplatz des Romans zum Umfeld desjenigen preußischen Sieges gehört, der die von den Holkenäs-Bewohnern einhellig abgelehnte Einverleibung Schleswig-Holsteins durch Preußen zur Folge haben würde. Holks ironisch gemeinte Prognose von 1859: „ Und wir werden preußisch werden, und eine Pickelhaube wird auf eine Stange gesteckt werden wie Geßlers Hut, und wir werden davor niederknien und anbeten ' (S. 30), war dreißig Jahre später mehr oder weniger im ganzen Reich Wirklichkeit geworden. „Alldeutschland" 14 hatte für seine Aufrichtung den Preis der Verpreußung gezahlt. „Deutsch, aber nicht preußisch, so soll es sein ' (S. 32) -, der fromme Wunsch Christines, - der auf einem Ausspruch Friedrich Wilhelms IV. (und einer Forderung des 1848er Publizisten Fontane) beruht 15 - wird sich nicht erfüllen; im Todesjahr des „Romantikers auf dem Thron' stirbt auch die Gräfin Holk. Es hieße aber die bewegte Entstehungszeit von Unwiederbringlich als Wertungspol des Geschehens „abzuklemmen", betrachtete man es nur aus der Perspektive von 1864. Die Jahre 1887-1890, in denen Fontane am Text arbeitete, markieren das Ende der Ära Wilhelms I. und Bismarcks, wie die Jahre 1859-1861 deren Anfang. Aus dieser Spannung erwächst u. E. die politische Dimension des Romans. Das Dänemark „vor dem Niedergang" 16 interessierte Fontane in erster Linie als beziehungsreich mit dem Aufstieg Preußens verbundener Fall von nationaler Hybris. Georg Brandes, der Propagandist Ibsens und Nietzsches - vom Autor wohl nicht zufällig zum Gutachter des Lokalkolorits bestellt - beschrieb die dänische Befindlichkeit zwischen den Kriegen in der Deutschen Rundschau mit Worten, die auch die herrschende Mentalität Deutschlands nach Versailles fassen könnten: „Man sehe schließlich das ganze dänische Volk.. . gewohnt, so hoch und so groß von sich selbst zu denken, schwellend vor Selbstgefühl nach dem siegreichen Ausgange des dreijährigen Kampfes um Schleswig 1848-1850. Die zwölf Jahre zwischen den zwei.. . Kriegen gehen hin in einem Traum von Glück und Kraft. Sorglos... sah die dänische Nation nicht die drohende Gefahr." 17 Diese „Sorglosigkeit" durchweht den Text von Unwiederbringlich als „apres-nous-le-deluge"-Stimmung, deren Ergänzung Christines apokalyptische Ahnungen sind. Wenn sowohl dem schleswigschen Grafen als auch dem dänischen König (dem letzen seines Stammes!) ausdrücklich „Nach-uns-die- Sündflut'-Ve rhalten bescheinigt wird (S. 37, 129), gehen privates und politisches, deutsches und dänisches Schicksal ineinander über. Fontane gelingt es bereits durch Figurenkonstellationen und -Charakteristik (hierher gehören auch
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