die später aufzuklärenden höchst pikanten genealogischen Zusammenhänge), die im Roman virulente Gesellschaftskritik über das vordergründig anvisierte „Sündenbabel" Kopenhagen hinaus auf die eigene gegenwärtige Gesellschaft zu beziehen. Der Vorahnung einer Zeitenwende für Preußen-Deutschland hat Fontane damals des öfteren Ausdruck gegeben' 8 , er stand mit solchen Prophezeiungen bei weitem nicht allein. Angesichts drohender Kriegsgefahr malte z. B. Friedrich Engels erwartungsvoll - und die Sündflutmetapher aufgreifend
- den revolutionären Umsturz an die Wand: der Krieg führe zu einem „vollständigen Zusammenbruch des Klassenstaates, politisch, militärisch, ökonomisch .. . und moralisch. .. Es ist der Ruf des Klassenstaates: apres nous le deluge; aber nach der Sündflut kommen wir und nur wir." 10 Ähnliches läßt sich - freilich sehr gut versteckt — in Unwiederbringlich auffinden.
Wie wäre aber die These von der Kritik am Wilhelminischen Deutschland am Text zu begründen? Viel Greifbares kann er ja - der Chronologie wegen - nicht bieten. Allerdings: im Jahre 1859 erblickt nicht nur der spätere Wilhelm II. das Licht der Welt, sondern in Angeln und in der Familie eines Augustenburger Herzogs auch - die spätere deutsche Kaiserin! Sehen wir vor diesem Hintergrund die Seeland-Handlung nicht mehr vorrangig als Erzählung des die Katastrophe auslösenden Ehebruchs, dann merken wir, daß sie Aufklärung keineswegs durch die Fabel betreibt, daß sie vielmehr einen Kommentar zu den - berichteten und nicht berichteten
- Geschehnissen auf Angeln liefert und somit gegen die Erzählrichtung immer wieder auf das Holkenäser Idyll deutet. Diesem wollen wir uns im folgenden genauer widmen, ist es doch ein äußerst fragwürdiges deutsches Idyll.
„Laß uns den Untergang hier abwarten.“ Holkenäs - Apokalypse ohne Offenbarung
Das Spiel mit der Etymologie des Landschaftsnamens „Angeln" (von Angelus - Engel) betrieb schon Fontane im Kriegsbuch, wo er einen Spruch des Papstes Gregor anführt: „Non sunt Angli", behauptet der Papst über die Bewohner der Gegend, „sunt Angeli" 20 . Im Roman dann bezieht er in der an Christine gerichteten Lobrede der Dobschütz Landschaft, „Nationaleigenschaften" und Figurencharakteristik genau berechnet aufeinander: „Du bist ein Engel... Aber gleich nach dir kommt dein Mann ... Wenn ich einem Fremden zeigen sollte, was ein deutsches Haus und deutsche Sitte sei, so ... brächte ich ihn einfach hierher . ..' (S. 68) Was hat es nun mit den „Engeln" bei Fontane zumeist auf sich? Aus seinem Werk wissen wir, daß es bevorzugt die „angelischen" Frauengestalten - von Grete Minde bis Effi Briest - sind, denen eine ausgeprägte infernale Kehrseite eigen ist. Nirgends wird das bündiger formuliert als in Grete Minde, wo der späteren Brandstifterin, der eine ganze Stadt zum Opfer fällt, die Rolle des Engels im volkstümlichen Mysterienspiel vom „Sündfall" zugedacht ist. Denn: „A ,Sündfall' ohn a Engel? Das geht halt nit.‘ 21 - Ein Schelm wer - für Unw iederbringlich - Arges dabei denkt? Uns scheint ein 72