solcher philologischer Einwand die Kontinuität und Konstanz des Fontaneschen Bilddenkens gefährlich zu unterschätzen.
„ Deutsches Haus und deutsche Sitte" ... Wie steht es jedoch um das „ deutsche Haus" wirklich? Daß dessen Segen reichlich schief hängt, ist offenkundig, liegt es vielleicht an... der „ deutschen Sitte“! Aber der Reihe nach. Der Reise- und Kriegsreporter Fontane hatte 1864 bei der Besichtigung schleswigscher Herren-Häuser einen Eindruck gewonnen, der „ jene Gegend“ gleichsam als doppelbödigen Tummelplatz des Dämonischen erscheinen ließ: „ All die Schlösser dieses Landes haben einen verwandten Charakter... Alles so glau, so unschuldig, und dabei ist doch etwas unheimlich Märchenhaftes um diese weiten, sonnenbeschienenen Wände her, daß man denken möchte, hier sehen Gespenster zu Mittag aus allen Fenstern heraus .“ 22 Das schrieb der Berichterstatter anläßlich einer Visite Gravensteins - der Alternative zum dann gewählten Glücksburg, das in jeder Beziehung den sprechenderen Namen trug. Ist das nicht die Atmosphäre des von Christine so geliebten „ alten Steinhauses“ der Holks „ mit seinem Spuk“, für das die Gräfin eine „ nicht zu bannende (!) Vorliebe“ hegt? (S. 8, 10) Asta und Elisabeth erleben bei ihrem Besuch auf dem benachbarten Friedhof die Gespenster des Mittags in wahrhaft panischem Schrecken. Ihr - gleich zweimal erzählter Aufenthalt (S. 53 f., 63) - fällt nämlich in die „ hohe Zeit" (S. 58) der mittäglichen Geisterstunde, in jene „ schlechte Stunde von elf bis zwölf", in der „Spuk sichtbar, oder, was zumeist der Fall ist, bloß hörbar wird“, vor allem „auf Kreuzwegen und Friedhöfen.“ 23 Und der Spuk meldet sich prompt mit dem herabpolternden Gruftstein - gerade an dem „ unheimlichen Platz“ (S. 54), dem Christine „nahe sein' wollte (S. 10), weil er die Ruhestätte ihres dritten Kindes war. - Es steht zu vermuten, daß der Friedhof am Schloß noch ein größeres Geheimnis birgt als „Kruses Grab" und daß auch hinter der „weißen, glauen, unschuldigen Fassade“ der Gräfin Holk das Infernale am Werke ist. Sie wäre dann nicht die „Antithese' zu Ebba, dem gefallenen Engel (S. 180), sondern nur ihr »in der Wolle gefärbtes“ Gegenstück. Zwar scheint sie zunächst jenen von Heine beschriebenen „trübsinnigen, mageren, sinnenfeindlichen .. . Judäismus der Nazarener" 24 zu vertreten, gegen den - und hierin läge dann der Konflikt - die „hellenische Heiterkeit, Schönheitsliebe und blühende Lebenslust", die auf sehr gemäßigte Weise Holk verkörpert, von Anfang an keine Chance haben. Aber schon Heine sprach vom „Reiz des geheimen Unterschleifs, der moralischen Konterbande" bei den „Sklaven der nazarenischen Abstinenz"; und Christines Betroffenheit von der ersten Strophe des durchaus „unchristlichen' Waiblingergedichts „Der Kirchhof" gewährt einen Blick hinter die Maske des Nazarenertums. „Wer haßt, ist zu bedauern, / Und mehr noch fast, wer liebt." ... Der Gräfin Reaktionen (S. 33, 51) auf diesen und den folgenden Vers sind als Eingeständnis zu begreifen, wie wenig die aufgebotenen Abwehrmechanismen gegen ihre Leidenschaft auszurichten vermochten. Christines Begehren geht deshalb jene dunkle masochistische Verbindung mit dem Selbsthaß ein, die als melancholische Todessehnsucht ihren Weg unbeeinflußbar bestimmt: „Die Ruh ist wohl das Beste / Von allem Glück der Welt." Das
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