bach"! Ziehen wir dazu die entsprechenden Gedankengänge Nietzsches heran, so wird die Annahme, Holks Eskapade sei die Ursache oder nur der Anlaß ihrer Tragödie, noch zweifelhafter. „Die radikale Feindschaft, die Todfeindschaft gegen die Sinnlichkeit bleibt ein nachdenkliches Symptom: man ist damit zu Vermutungen über den Gesamtzustand eines dergestalt Exzessiven berechtigt. - Jene Feindschaft, jener Haß kommt übrigens erst auf seine Spitze, wenn solche Naturen selbst zur Radikal-Kur zur Absage von ihrem .Teufel' nicht mehr Festigkeit genug haben.' 43
Es verblüfft, wie genau das von Nietzsche ironisch in christlicher Metaphorik bekannte Unvermögen, erfolgreich Triebbekämpfung zu betreiben, bei Fontane ebenfalls - wenn auch verdeckt - über vermeintlich vertraute christliche Symbolik ins Spiel gebracht wird. Als „halbes Gleichnis' harrt die Stelle mit vielen anderen bis heute auf ihre interpretatorische Erlösung. - Wenn Christine im zentralen Gespräch des vierten Kapitels (S. 32) - kurz bevor sie von Elisabeths Gesang betroffen die Gesellschaft verläßt - die Palme als Friedenssymbol für sich in Anspruch nimmt, im „ selben Augenblick, wo der alte Peter- sen ihr diesen Frieden fast wie zusicherte", jedoch die deprimierende Empfindung hat, .daß sie desselben entbehre", gesteht sie sich nichts Geringeres als das Versagen ihrer Religiosität ein. Das Märtyrerattribut „Palme' bedeutet eben nicht allgemein „Frieden', sondern ausdrücklich einen Frieden, der erst nach einem ganz besonderen Sieg errungen wird: „Der P a l m z w e i g ist Sinnbild des 4 Sieges über den Teufel' !4
Die von ihr den Kopenhagenern anempfohlene „ Zuchtrute" (S. 48) vermag weder ihr noch dem preußischen Pflichtmenschen Aschenbach die abgründigen Ansprüche auszutreiben - und sie so vor dem Tod zu bewahren. Wie aber wäre Christines illegitimes Begehren textnah zu fassen? „Der Mann ist wie das Meer', sagt Ellida; und wir sind der Ansicht, daß auch in Unwiederbringlich ein Mann im Hintergrund von Christines Leiden steht. Die Szene im vierten Kapitel ist nicht das einzige Indiz aus einer Kette von zusammenstimmenden diesbezüglichen Textsignalen, sie enthüllt aber in der Einheit von Naturbild und Figurenperspektive poetisch-diskret die Art der Sehnsucht Christines als - inzestuöse Vereinigungs- und Entgrenzungsphantasie.
Am Schluß des Gesprächs, als nach Petersens unpassenden Huldigungsworten "jeder schweigend vor sich hin blickte", ist es Arne, der in diesem „ Augenblick voll Bedrückung und Schwüle ... durch die offenstehende hohe Glastür auf das Meer hinaussieht, das im Silberschimmerglanz dalag". Es ist das der ahnungsvolle Ausblick eines Betroffenen auf Kommendes. - Der Mond, das Gestirn der jungfräulichen Göttin Artemis, wenig vorher heraufgestiegen, "als wolle er alles in Frieden besiegeln", gießt sein Silberlicht über das Element, das Christine dereinst wirklichen Frieden schenken wird. Ihre Beziehung zum Meer, ihr unwiderstehliches Verlangen nach Heimkehr, nach Wiederherstellung der „unwiederbringlichen" Ureinheit, ist eine Erscheinungsform der „ ewig sieggewissen Macht über das Individuelle, das Menschliche, das Christliche" , 4 5 d ie Fontane dem Elementaren zuschreibt, dem seine Melusinen verfallen sind, weil sie ihm angehören. Ein solches Verfallensein hat tiefgreifende Folgen für das 78