Sozialverhalten. Gleich ihrer Schwester Effi gehört Christine „nicht zu denen, die so recht eigentlich aut Liebe gestellt sind, wenigstens nicht auf das, was den Namen ehrlich verdien t" 46 . Die - wenig gewürdigten - Worte der Mutter meinen die wesensmäßige Unfähigkeit der Melusinen zu normgerechten, gesellschaftlich legitimierten Formen der Liebe. Das Naturphilosophie und Sage entlehnte Mythologem verbildlicht dabei mit der dem Mythos eigenen Prägnanz das Rückzugsverlangen alles Lebendigen in die bergende Urheimat des Wassers, „in unser eigentliches Element, in das Element, aus dem wir geboren wurden ' - so Fontane'* 7 - und auf einer psychoanalytischen Ebene den Rückzug auf früheste Libidofixierungen. Als tragenden Konversionsbegriff der , nur oberflächlich getrennt erscheinenden Bereiche erweist sich u. E. der der Regression. Es existiert ein - von Freud selbst gesehener 48 — innerer Zusammenhang zwischen dem „maternalen Regressionszug" 49 und dem Freudschen Terminus von der „Regression der Libido zu den primären inzestuösen Sexualobjekten'. 50 Bei Fontane werden wir die Synthese beider Momente als präödipale Verschmelzungs- und Erlösungsutopie immer wieder finden; am unverstelltesten wohl im frühen Gedicht „Das Gespensterschiff": „Und Arm in Arm, und Brust an Brust / Im Auge heiße Todeslust, / Steigt in das kühle Flutengrab / Der Vater mit dem Sohn hinab .' 51 Die Konstanz der Fixierung auf derartige Phantasien ist beeindruckend, als „mythe personnel" bestimmt sie das gesamte Werk. „Die Szenerie von Holkenäs wiederholt ... auffallend die der frühen Erzählung Geschwisterliebe .' 52 Das bemerkt - hellsichtig wie immer - R. Böschenstein; - und in der Tat sind die Textbelege, die auf Geschwisterliebe in Unwiederbringlich verweisen, so zahlreich, daß sie zusammengestellt geradezu aufdringlich wirken. Da Fontane sie aber über den ganzen Text „verstreute", entstand eines der raffiniertesten Verstecke des Textes überhaupt. Ein Versteck, das den Kern des für Christine tödlichen Konflikts verbirgt, indem er ihn vorzeigt. Im folgenden soll eine - noch keineswegs vollständige - „Auflistung" die Konsequenz verdeutlichen, mit der Fontane seine Topik-Ketten um die Figuren herumlegte, ihre delikaten Beziehungen damit dezent aber unerbittlich unterstreichend. U. E. benutzt der Autor bewußt die Zweideutigkeit der Gefühlslexik aus den Zeiten der Empfindsamkeit, und er beutet die Funktion Arnes, bei Holks Abwesenheit „in Wirtschaft und Buchhaltung nach dem Rechten zu sehen" (S. 40) weidlich aus. Im großen Gespräch der Geschwister (S. 61 f.) schwingt auf Christines Seite unüberhörbar die Anklage einer Verschmähten mit: „Du weißt, wie mein Herz an dir hängt, wie ich, aus meiner Kindheit Tagen her, voller Dank gegen dich bin, und dies Dankesgefühl habe ich noch ... Du warst schon dreißig, als ich bei der Eltern Tod zurückblieb, und nach deinen Anschauungen, nicht nach denen der Eltern, bin ich erzogen worden ... Du hast mir diese Richtung gegeben ." Welch kaum verklausuliertes Selbstzeugnis einer mißlungenen Libidoablösung vom Bruder-Vater! Es geht im Grunde nicht um Weltanschauung und Erziehungsprinzipien, wenn sie Alfred des „ Fahnenwechsels " zeiht und ihn fragt: „ aber darfst du mir Vorwürfe machen, wenn ich da blieb, wo du früher auch standest und wo du mich selber hingestellt ?' Eine ganze Geschichte liegt in dieser Klage,
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