- eine Liebesgeschichte. Ihrem Mann gegenüber spricht Christine von Alfred als dessen „altet ego ' und „Stellvertreter" (!) und setzt der Selbstdenunziation die Krone auf, wenn sie den Bruder als „Regenten" bezeichnet (S. 136). Arne gebraucht im Briefwechsel mit Holk eine merkwürdig gedrechelte Wendung, die eine Art Doppel-Besitzrecht anzeigt: „Du verstehst die Frauen wirklich nicht, am wenigsten aber Deine eigene, meine teure Christine. Unsere teure Christine wage ich, bei der Haltung, die Du zeigst, kaum noch zu sagen ...' (S. 185); Vielsagend konzediert er ihm, daß Holks „liebenswürdiger Charakter es leicht" mache, an seiner Stelle „zu regieren" (S. 184). Hier sei zum Textvergleich eine Passage aus Geschwisterliebe herangezogen, die in ihrer bie- dermeierlichen Emphase diese - in Unwiederbringlich mit soviel Understatement behandelte — intrikate Dreiecksbeziehung unschuldig-genußvoll ausmalt. Die Sterbende sagt Bruder und Geliebten Worte, die Christine im realistischen Roman zwar nicht gesprochen, wohl aber - cum grano salis - gedacht haben könnte: „Reicht euch die Hände, lebt friedfertig miteinander, seid so innige Freunde, wie sie nur gemeinschaftliches Unglück zu schaffen vermag, und gedenkt meiner als eurer beiderseitigen Geliebten, deren Tod es war, sich unter euch nicht teilen zu können; das ist mein letzter 'Wunsch, die Bitte einer Sterben- d e n." : ' 3
Allerdings steht zu vermuten, daß sich in Christines Fall die Waage nicht mehr im Gleichgewicht befindet, daß Bruder und Geliebter gleichsam die Rollen getauscht haben. So leistet sich schließlich Holk, der weiß, daß Alfred „die Schwester liebt und fast vergöttert" (S. 249), und der auch weiß, daß er bei Christine verspielt hat, einen in seiner Anzüglichkeit kaum noch zu überbietenden avis au lecteur, wenn er vom Schwager behauptet, daß der „doch sonst die Machtvollkommenheiten seiner Majordomusschaft weitgehend genug auf(faßt)" (S. 184).
"Wer tötet um Klytämnestras willen Agamemnon?“ (Ebba, S. 207) einer Psychoanalyse der Christine Holk
Versuch
Die unauflösliche Dissonanz, in der Christine zum Tode hin lebt, entspringt ihrer sie zerreißenden Doppelrolle als Elektra - auf einer mythologischen Ebene Tochter der Meeresgottheit Okeanos! - u n d Klytämnestra. Sie mußte Holk als Eindringling und „Mörder“ begreifen, der ihre inzestuöse Bindung an den „Vater" natürlicherweise zu zerstören trachtet. Von hier aus erst gewinnt Ebbas sonst nicht recht verständliche Frage einen verblüffenden Sinn, - der sich auch in deren Umkehrung beweist. Denn sowohl bei der „Tötung“ Agamem- nons als auch bei der „Ermordung" Klytämnestras, dem Suizid, stets ist Christine Opfer und Täter zugleich. Die Veranschaulichung intra- und interpersoneller Konfliktlagen mittels mythologischer Bilder - die hier als bloße Konversationsversatzstücke daherzukommen scheinen - nimmt Künftiges vorweg: Der realistische Erzähler - und das sei generalisierend verstanden - kann mit Fug und Recht als Pfadfinder auf jenem „Weg nach Innen" angesehen werden, den
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