„Als ,Rolf Krake' die Schmälung des flensburger Meerbusens zwischen Hollnis und Brunsnis ... passierte, erhielt er Feuer von der hollniser Batterie, aber er würdigte dieser Batterie keiner Antwort. Als er die Schußlinie von Hollnis hinter sich hatte, nahm er vollen Dampf und glitt, unheimlich durch die Leblosigkeit auf seinem Deck, wie ein großer schwimmender Sarg auf die Batterie von Alnoer zu... Die Batterie bei Hollnis hatte dem Dampfer nichts anhaben können, widerstand sein Eisenpanzer auch jetzt, so war die Pontonbrücke der Zerstörung preisgegeben.. .' Die preußischen Waffen, unter der dreifach patriarchalischen Devise „Mit Gott, für König und Vaterland" zum Einsatz gebracht, sind ebenso machtlos gegen den heidnischen und inzestgezeugten Namenspatron des gespenstischen Schiffes, wie Christines Anklammern an den Kathechismus Lutheri wirkungslos gegen den gleichsam als Fluch über Hol- kenäs liegenden Geist des Rolf Krake bleibt. Fontane hat dessen Verhängnis, das ihn zuletzt in Gestalt einer Nixe (!) einholt, ziemlich genau beschrieben: Sein Vater war König Helge... der Oedip des Nordens, nur umgekehrt ... Helge wird unwissentlich der Gemahl seiner Tochter Irsa... Der Sohn dieser Ehe zwischen Vater und Tochter ist Rolf Krake." Wir sehen die Zusammenstimmung mit allem bisher Herausgearbeiteten: über das Mythologem des nordischen Helden öffnet der Autor seinen Text der Zeit geschichte und behält dennoch die Rückbindung an die Ehe geschichte im strengen erzählerischen Griff. Einmal nur wird Rolf Krake im Roman erwähnt, aber die ironische Attacke, die Pentz gegen den Hobby-Genealogen Holk reitet, - eine beinahe schon zynische Anspielung auf die Holkenäser Verhältnisse —, verkörpert gewissermaßen das Umwertungsprinzip des Textes in reinster Form. „ Als Genealoge werden sie die Haraldblauzahnschen Verwandtschaftsgrade... vielleicht sogar zu Rolf Krake feststellen können.. .' (S. 148); damit weist der mephistotelische Baron den armen Grafen auf eine Spur, die dieser - wie im Falle des Fräulein Rosenberg - natürlich nicht wahrnimmt, ist er doch (gleich dem Leser) alles andere als ein echter Genealoge. Harald Blauzahn nämlich war derjenige König, der von sich behauptete, er habe „die Dänen i zu Christen gemacht" 76 ; wenn ihn nun Pentz auf den vom Odium des In- | zests umwitterten Heiden zurückführt, gibt er uns einen Wink hinsichtlich der „Verwandtschaftsgrade" von christlicher Askese und heidnischer Ausschweifung, zeigt also den die Handlung konstituierenden Konflikt an. Der „Staatenkitt“
(S. 29) ist unter der steten Wühlarbeit der von Rolf Krake versinnbildlichten uralt-modernsten „Decadence", zu der die „ewig sieggewisse Macht des Elementaren' beiträgt, mehr als brüchig geworden; der Staat läuft so Gefahr, wie das Flaggschiff „Makellos" in die Luft zu fliegen: Fontane hat den dahin führenden Prozeß in einer mit Grauen gemischten lustvollen Erwartungshaltung beobachtet. Dies macht die politische Befrachtung des Rolf-Krake-Motivs im Stechlin, die auch für den u. a. im Jahr der Aufhebung des Sozialistengesetzes geschriebenen Roman Unwiederbringlich Geltung beanspruchen kann, im Lichte des Vorhergesagten sofort klar.„Ich sag euch, was sie jetzt die soziale Revolution nennen, das liegt neben uns wie damals ,Rolf Krake'; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er dazw ischen."11 86